taz.de -- Lobbyismus in Berliner Koaverhandlungen: Dürfen Experten mitverhandeln?

In den Verhandlungen von CDU und SPD sitzen nicht nur Politiker:innen. Ist das begrüßenswert oder zu verurteilender Lobbyismus?
Bild: Wen haben Franziska Giffey und Kai Wegner mit im Gepäck?

Ja

Experten am Tisch der [1][Koalitionsverhandlungen]? Natürlich, wo denn sonst als dort, wo es um die Zukunft Berlins geht? Wie könnte da Expertise schaden? Im Tagesspiegel sah es die Organisation Lobby Control kritisch, „dass einige Interessensvertretungen direkt mit am Verhandlungstisch sitzen“.

Interessen vertreten aber letztlich alle, die in irgendwas irgendeine Expertise haben. So wie eine parteinahe Bänkerin grundsätzlich stabile wirtschaftliche Verhältnisse befürworten dürfte, wird ein Klimaschutzexperte über seine Fachkenntnis hinaus auf mehr Umweltschutzausgaben drängen. Niemand kann sich komplett davon frei machen, dass neben Zahlen und Einschätzungen unweigerlich auch Ideen und Überzeugungen aus dem eigenen beruflichen wie privaten Umfeld in Beratungen einfließen.

Doch ist das ein Problem? Überhaupt nicht, solange klar ist, wo wer herkommt. Doch genau wegen des bekannten Hintergrunds werden ja Leute in solche Verhandlungsrunden geholt. Die Frauen und Männer, die da zusätzlich zu langjährigen Parteifunktionären und Abgeordneten sitzen, werden da nicht reingelost. Wobei es auch nicht so ist, dass Politprofis bar jeder Expertise wären. Sie sind zudem die, die über ihre Nähe zur Wählerschaft deren Wünsche oder Ängste einbringen.

Viel mehr Einfluss als bei Koalitionsberatungen haben Lobbyisten ohnehin dann, wenn sie Mitglied einer Regierung werden. In den USA ist es seit Jahrzehnten üblich, dass etwa Bänker das Finanzressort übernehmen. In Deutschland [2][machten die Grünen 2022 die Chefin von Greenpeace International zur Staatssekretärin im Außenministerium]. Das war neu. Und Staatssekretärin in Berlins Senatsverwaltung für Verkehr wurde eine langjährige Bahnmanagerin. Beide sind an ihrem Platz, weil sie mit ihrem Hintergrund Schwerpunkte der Regierungsarbeit abdecken sollen.

Wer dennoch weiter Angst vor zu viel unkontrollierter Einflussnahme im Koalitionsvertrag hat, der sei an SPD-Chefin Franziska Giffey verwiesen. Die erinnerte am Dienstag vor Journalisten daran, dass am Ende der Koalitionsverhandlungen nicht die 13 Arbeitsgruppen mit den Experten entscheiden, sondern die Parteioberen in der Dachgruppe: „Da sind genug Sicherheitsnetze, um der Sorge, dass sich da Lobbyinteressen durchsetzen, entgegenzuwirken.“ Stefan Alberti

Nein

Den so allgegenwärtigen wie höchst undemokratischen Einfluss privater Wirtschaftsinteressen auf die Politik wollen beide Seiten gern verschleiern. Über Hinterzimmertreffen oder gar ausformulierte Gesetzestexte aus den Konzernzentralen soll die Öffentlichkeit nichts erfahren. Auch da, wo die Kungelei öffentlich zutage tritt, setzt sich die Verschleierung fort und auch Medien spielen teils dabei mit, sei es aus Gewöhnung oder Naivität. Die Rede ist dann etwa von „Expert:innen“, die die Politik „beraten“, anstatt von Lobbyist:innen, die Einfluss nehmen, um den Profit ihrer Unternehmen oder Branchen zu steigern.

Selbst wenn Kritik laut wird und man in die Defensive gerät, hält man an de Euphemismen fest: Da ist dann etwa die Rede von „Interessenkonflikten“, ganz so als wären Lobbyisten zwischen Konzerninteressen und jenen der Allgemeinheit hin- und hergerissen. Dabei gilt die simple Redewendung: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Dass in den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD eine Handvoll eben jener Lobbyist:innen sitzen, ist daher ein fatales Zeichen. Hier bahnt sich das Schlimmste an, was von dieser Koalition zu erwarten ist: zwei den Wirtschaftsinteressen ergebene Parteien, die selbst inhaltlich ausgebrannt sind. Der Rückzug der Microsoft-Lobbyisten Tanja Böhm, die für die CDU das Thema Verwaltung und Digitalisierung verhandeln sollte, macht es nicht besser. Ganz offensichtlich haben CDU und SPD keine Scheu, sich Konzerninteressen auszuliefern.

Verschleierungstaktik ist allerdings auch, jeden Interessenvertreter oder Experten mit bezahlten Lobbyisten auf eine Stufe zu stellen. Austausch mit jenen außerhalb der professionellen Politbubble und Einbeziehung ihrer Expertise ist notwendig. Solange sie keine privatwirtschaftlichen finanziellen Interessen vertreten, ist ein Kanzler der Technischen Universität oder eine CDUlerin mit Amt bei der Gewerkschaft der Polizei am Verhandlungstisch kein demokratisches Problem. Auffällig ist dennoch die Auswahl: Gewerkschafter:innen aus dem Gesundheitssektor, Klima- oder Mieterschützer:innen dürfen nicht mitspielen, ihre Expertise halten die beiden Parteien nicht für wichtig, anders als jene von Vertreterinnen der Baubranche, des Gesundheitskonzerns Johnson & Johnson oder eben Microsoft.

Berlin droht eine Politik für wenige Profiteure gegen die Allgemeinheit. Dagegen hilft der Zivilgesellschaft nur eins: lobbyieren. Erik Peter

14 Mar 2023

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