taz.de -- Alte Lieder und Neue Musik: Mit Maria im Geigenhimmel
In der Musikgeschichte ist Maria immer wieder ein gern besungenes Thema. Auch beim Berliner Ultraschall-Festival für Neue Musik war von ihr zu hören.
Was es mit Maria auf sich hat? Ein Name, der the most beautiful sound I ever heard sein kann, „Maria, Maria, Maria“, all die schönen Klänge der Welt in einem einzigen Wort. Das ist die Maria [1][aus der „West Side Story“], diesem fabulösen Musical von Leonard Bernstein und Stephen Sondheim, in dem die Maria dem schließlich tragisch dahinsterbenden Tony (es ist eben die Romeo-und-Julia-Geschichte) klarmacht, dass es Besseres gibt, als sich mit anderen herumzukloppen.
Musikalisch hat Maria eine Menge zu bieten.
Man mag auch „Santa Maria“ dazurechnen, [2][einen Hit von Roland Kaiser] mit der Vision einer südlichen Insel. Selbst wenn nicht ganz klar wird, ob nun dieser Inseltraum oder auch das Mädchen Maria („Maria, Maria“) heißt, das am Schluss des Liedes gar kein Mädchen mehr ist, sondern eine Frau. Dafür hat das Sänger-Ich gesorgt.
Schön an dem Lied ist natürlich, wie so ein heißes Eisen wie Maria und die Jungfräulichkeit mit einem [3][beschwörenden „Humm-nana“] angegangen wird.
Im Kanon durch den Dornwald
Fester im christlichen Kanon aber steht man mit „Maria durch ein’ Dornwald ging“. Das Adventslied mit einer Andacht und dem auch bitteren Schmelz um die schwangere Maria. Man muss schon recht hartgesotten sein, um diesem Marienkult nichts abgewinnen zu können. Man muss ja nicht dran glauben. Im Hören aber wird man feststellen, dass [4][Musik oft was mit Transzendenz zu tun hat] und in diesem Lied bestimmt.
Eine ganz aktuelle Marienerscheinung war diese Woche bei Ultraschall zu hören, dem vom Deutschlandfunk Kultur und rbbKultur veranstalteten [5][Festival für Neue Musik]. Zum Auftakt am Mittwoch stand im bestens besetzten Großen Sendesaal im Berliner Haus des Rundfunks – und mit hoffentlich vielen Hörenden an den Radiogeräten; die Konzerte des [6][bis Sonntag dauernden Festivals] werden auch live übertragen – „Mary / Transcendence after trauma“ auf dem Programm, ein Stück der [7][australischen Komponistin Liza Lim], die sich in ihrer Musik gern mit spirituellen Traditionen von Ritualen der Aborigines bis zu schamanistischen Praktiken Chinas (Lim hat chinesische Wurzeln) beschäftigt.
In ihrem „Mary“-Stück will die Komponistin die Mariengeschichte mit der Verkündigung, dass sie eben jungfräulich ein Kind, Jesus, bekommen würde, aus der Perspektive Marias hören. Über den Hinweis auf die Apokalypse soll in „Mary“ dazu auf die ökologische Krise unserer Zeit verwiesen sein.
Weniger Humm-nana, mehr Tiefgang
Was nun alles wenig Humm-nana ist und mit etwas mehr musikalischem Tiefgang unterwegs als „Santa Maria“. Träge aufsteigende Klangschlacken formten sich zu Erwartung, in knappen Sequenzen wurden vom Deutschen Symphonie-Orchester Berlin Stimmungsmusiken wie bei alten Filmsoundtracks skizziert, sekundenkurz gönnte sich die Musik aufbauschendes spätromantisches Pathos, naschte von der Süßlichkeit des Geigenhimmels und fand zwischendurch so zum fast quengelfreien Wohlklang. Also eine Gegend, in der die Neue Musik eher selten unterwegs ist.
Ein abwechslungsreiches, stets sich wandelndes Stück, in dem man gar nicht unbedingt die Apokalypse hören musste. In den Applaus danach mischte sich zumindest ein begeistertes Pfeifen.
Mit Maria ist die Musikgeschichte vertraut. Mit Josef hat sie weniger zu tun. Auch wenn man an dem Abend im Haus des Rundfunks gern etwas aus der Perspektive von Josef, dem nicht biologischen Vater in dieser Jesusgeschichte, gehört hätte. War aber halt nicht.
Stattdessen gab es noch eine mäßig spannende Auseinandersetzung mit Geräuschen – „Brunnen“ von Carola Bauckholt – und von Bernhard Lang die „Monadologie VII“ zu hören, in der der österreichische Komponist sich mit Arnold Schönbergs zweiter Kammersinfonie beschäftigt in einer in Wiederholungsschleifen ausgestellten spröden Eleganz. Eine staksende und schließlich eckig tanzende Minimal Music.
Der so auf den Tanzboden geschubste Schönberg: das war dann wieder ein schöner Spaß.
21 Jan 2023
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die O’Bros rappen über Gott und Glaube. Damit sind sie auf Platz 1 der Album-Charts gelandet. Was ist da los? Ein Besuch beim Tourauftakt.
Im Humboldt Forum im Berliner Schloss durfte man sich, wo man singt, ruhig niederlassen. Schließlich ist Singen eine vertrauensbildende Maßnahme.
Die Komische Oper Berlin steht vor der Sanierung und zieht deswegen um. Bei einem Kostümverkauf wird vorher noch einmal kräftig ausgemistet.
Der Hüftschwung unterm Hafenkran: Beim Hamburger Elbjazz-Festival treffen sich die Best Ager, ohne dabei von zu viel Jugendlichkeit gestört zu werden.
El Khat machen einen arabisch gestimmten Trancerock mit Do-it-yourself-Note. Im Berliner Urban Spree brachten sie die Menschen in Schwung.
Bei der Berliner Maerzmusik ist zu erleben, was Musik alles hörbar macht. Neben dem Ungezähmten ist auch die schadhafte Gegenwart Thema beim Festival.
Schon lange mischt Marc Weiser in der Berliner Subkultur mit. Nun bringt er mit Konzerten Schwung in das Jugendwiderstandsmuseum in Friedrichshain.
Die Box „Revelations“ vereint die zwei letzten Konzerte der US-Freejazz-Ikone Albert Ayler. Jetzt erscheinen sie erstmals vollständig.
Als Gruppe für Neue Musik hat das Zafraan Ensemble keine Scheu vor Experimenten. Bei seinem „Match Cut Festival“ maß es sich an Barock und Techno.