taz.de -- Rot-Grün-Rot streitet über Abschiebungen: Geflüchtete zweiter Klasse
Berlins Innensenatorin will noch schnell 600 Menschen aus Moldawien abschieben, weil man Unterkünfte für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine brauche.
Berlin taz | Es ist eine bemerkenswerte Begründung, die Berlins Innensenatorin dafür anführt, warum sie noch vor Weihnachten rund [1][600 Geflüchtete aus Moldawien] dorthin wieder abschieben will. „Wir brauchen die Unterkünfte“, sagt Iris Spranger (SPD) in der Sitzung des Innenausschusses am Montagmorgen. Denn der Senat rechne weiterhin [2][mit vielen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine]. „Die müssen wir unterbringen.“
Damit befeuert Spranger eine unsägliche Debatte, die bereits kurz nach Ausbruch des Angriffs Russlands auf die Ukraine geführt wurde: Gibt es Flüchtlinge erster, zweiter und dritter Klasse, erkennbar an dem Umgang des Staates mit ihnen?
Die Innensenatorin scheint mit dieser Einordnung kein Problem zu haben: Moldawien sei bereit, die abgeschobenen Menschen wieder aufzunehmen; außerdem zahle die deutsche Bundesregierung 32 Millionen Euro zur Unterstützung vor Ort. Insgesamt gebe es sogar 3.200 ausreisepflichte Menschen aus Moldawien in Berlin. „Unser humanitäres Anliegen sind die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine“, betont Spranger.
Die Koalitionspartner Linke und Grüne bringt sie mit dieser Haltung in Rage. Im Ausschuss selbst gibt ihr Katina Schubert, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linken und zudem deren Landeschefin, hart Contra. Abschiebungen zum jetztigen Zeitpunkt seien schon durch eine Verabredung zwischen SPD, Grünen und Linken nicht möglich. „Im Koalitionsvertrag ist ein Winterabschiebestopp vereinbart“, betont Schubert und wirft Spanger daher sogar „Koalitionsbruch“ vor. „So geht es nicht.“ Im rot-grün-roten Vertrag heißt es wörtlich: „Im Winter soll auf Abschiebungen verzichtet werden, wenn Witterungsverhältnisse dies humanitär gebieten.“
„Es reicht jetzt“
Die Grünen schließen sich der linken Kritik an. „Es reicht jetzt. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, im Winter aus humanitären Gründen keine Abschiebungen durchzuführen. Diese Verabredung gilt weiterhin auch für Abschiebungen nach Moldau“, teilen die Landesvorsitzenden Susanne Mertens und Philmon Ghirmai mit. „Die Ankündigung von Frau Spranger, bis zum Jahresende Menschen abzuschieben, bedeuten einen Bruch mit dem Koalitionsvertrag.“
Und der grüne Abgeordnete Benedikt Lux schreibt auf Twitter: „Ist schon traurig, eine rot-grün-rote Innensenatorin an Recht, Gesetz und an die Unzulässigkeit von Ermessensfehlgebrauch erinnern zu müssen.“
Die Republik Moldau, ein Nachbarland der Ukraine, hat gemessen an seiner Bevölkerung [3][bereits überdurchschnittlich viele Kriegsflüchtlinge aufgenommen]. Die finanziellen Hilfen, die auch andere Länder dem Land gewähren, sollen zudem desse Abhängigkeit von Russland bei der Energieversorgung reduzieren.
Spranger selbst weist den Vorwurf zurück, die Koalitionsvereinbarung zu verletzten – ohne das allerdings zu erläutern. Sie betont im Ausschuss lapidar: „Das ist kein Koalitionsbruch, um das klar zu sagen.“ Die Innenverwaltung schaue sich jede einzelne Abschiebung an. „Vulnerable Gruppen werden nicht abgeschoen.“ Vielmehr wirft sie den Koalitionspartnern „Wahlkampf“ vor; sie hingegen versuche, diesen aus ihrer Arbeit herauszuhalten.
28 Nov 2022
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