taz.de -- Friedensverhandungen in Kolumbien: Schwierig, aber den Versuch wert

Kolumbiens Regierung verhandelt mit den Guerillas von der ELN. Gut so – aber mit Venezuela am Tisch hat dies ein Geschmäckle.
Bild: Schwierige Verhandlungen: Gustavo Petro in seinem Präsidentenpalast in Bogota

Gustavo Petro ist der achte Präsident Kolumbiens, der sich [1][an Friedensverhandlungen mit der ELN-Guerilla] versucht, seit das „Nationale Befreiungsheer“ Anfang der 1960er Jahre den bewaffneten Kampf aufnahm. Alle sieben vor ihm sind gescheitert. Petro allerdings ist anders als seine Vorgänger ein Linker, kommt aus der Linken, war selbst einmal Guerillero. Schon tönt Kolumbiens Rechte, was da jetzt in Venezuela beginnen soll, seien keine Friedensverhandlungen zwischen Vertreter*innen gegensätzlicher Interessen, sondern nette Gespräche unter Gleichgesinnten.

Mit [2][der ELN] zu Vereinbarungen zu kommen, war immer schwierig. Anders als [3][die größere Farc (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens)] hatte sich die ELN seit einer herben militärischen Niederlage 1973 dezentral reorganisiert. Die verschiedenen Fronten genießen weitgehende Autonomie, ihre Strategien sind nicht überall gleich. Das macht Verhandlungen schwierig.

Dazu kommt, dass die ELN heute eine binationale Organisation ist. Venezuelas Grenzregionen sind schon lange nicht mehr nur Rückzugsraum: Die ELN-Strukturen bestehen dort großenteils aus Venezolaner*innen, und in Kolumbien erfolgreiche Strategien von militärischer Kontrolle gepaart mit sozialem Engagement funktionieren auch in Venezuela – mit dem Unterschied, dass der dortige Staat wegschaut oder unterstützt.

Wenn bei den Verhandlungen jetzt also neben Norwegen auch Kuba und Venezuela als Garantiemächte mit am Tisch sitzen, dann hat das durchaus ein Geschmäckle – Venezuela ist kein Vermittler, sondern Partei. Das kann allerdings womöglich auch nutzen.

Es ist schwer vorstellbar, dass die ELN-Comandantes ihre ökonomisch und politisch recht komfortable Position einfach aufgeben und sich die Waffen wegverhandeln lassen. Und dennoch: Zur Wiederaufnahme der Verhandlungen gibt es keine wirkliche Alternative. Ja, Gespräche in der Vergangenheit sind gescheitert. Der Versuch einer militärischen Lösung allerdings erst recht. Und mit noch fataleren Konsequenzen.

22 Nov 2022

LINKS

[1] /Friedensgespraeche-in-Kolumbien/!5896438
[2] /Kolumbiens-Friedensabkommen-in-Gefahr/!5621824
[3] /Dramaturgin-ueber-Arbeit-mit-Ex-Guerillas/!5484814

AUTOREN

Bernd Pickert

TAGS

Kolumbien
Gustavo Petro
Kolumbien
Kolumbien
Kolumbien
Farc
Kolumbien
Lesestück Recherche und Reportage

ARTIKEL ZUM THEMA

Bürgerkrieg in Kolumbien: Petros peinliches Vorpreschen

Auch wenn der Präsident ihn bereits verkündet hatte, lässt der Waffenstillstand in Kolumbien auf sich warten. Die ELN will vorerst verhandeln.

Waffenstillstand in Kolumbien: Präsident verkündet totalen Frieden

Staatschef Gustavo Petro verkündet einen Waffenstillstand mit den fünf wichtigsten Guerillagruppierungen. Bis Ende Juni soll es Friedensverhandlungen geben.

Friedensgespräche in Kolumbien: Ein Lichtblick

Mehrere Entwicklungen im bewaffneten Konflikt mit der ELN in Kolumbien geben Anlass zur Hoffnung. Euphorie ist aber fehl am Platz.

Friedensgespräche in Kolumbien: Nach fast vier Jahren Funkstille

Neue Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der ELN haben begonnen. Seit August hat Kolumbien seinen ersten linken Präsidenten.

Präsidentschaftswahlen in Kolumbien: Etappensieg für linken Kandidaten

Der linke Gustavo Petro gewinnt die erste Runde der Wahlen in Kolumbien. In die Stichwahl muss er gegen den Trump-Fan Rodolfo Hernández.

Präsidentschaftswahl in Kolumbien: Tanzen und singen an ihrer Seite

Francia Márquez könnte Kolumbiens erste schwarze Vizepräsidentin werden. Für viele Arme ist sie eine Hoffnungsträgerin.