taz.de -- Artenschutz auf dem Klimagipfel: Zwei Krisen mit einer Klappe
Der Klimagipfel nimmt den Verlust der Biodiversität ins Visier. Krisen müssen gemeinsam gelöst werden, sagt Umweltministerin Steffi Lemke.
Berlin taz/epd/afp | Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hofft auf ein Bekenntnis der Weltklimakonferenz zu naturbasierten Lösungen im Kampf gegen die Erderwärmung. Die drei planetaren Krisen Verschmutzung, Artensterben und Klimawandel hingen zusammen und müssten gemeinsam gelöst werden, sagte sie am Mittwoch in Scharm al-Scheich. Dafür startete Lemke gemeinsam mit ihrer ägyptischen Amtskollegin Yasmine Fouad sowie der Weltnaturschutzunion die „Enact-Initiative“. Das Ziel von Enact ist es, bis zu 2,4 Milliarden Hektar gesunder natürlicher und nachhaltiger landwirtschaftlicher Ökosysteme zu sichern, indem 45 Millionen Hektar unter Schutz gestellt, 2 Milliarden Hektar nachhaltig bewirtschaftet und 350 Millionen Hektar renaturiert werden. Weiter hieß es, mindestens eine Milliarde schutzbedürftiger Menschen, darunter mindestens 500 Millionen Frauen und Mädchen, sollten vor den Folgen des Klimawandels geschützt und ihre Resilienz gestärkt werden.
[1][Die Initiative verweist auf den nächsten großen UN-Gipfel], der die Krise des Verlusts der Biodiversität meistern soll. Anfang Dezember treffen sich die Mitgliedstaaten des „Übereinkommens über die biologische Vielfalt“ im kanadischen Montreal, um ein neues Rahmenabkommen zu beschließen, das Maßnahmen und Ziele für den Erhalt der Biodiversität bis 2030 festschreibt. Dabei geht es unter anderem um den Schutz der biologischen Vielfalt und wer an ihr verdienen darf. Konkret wird verhandelt, ob 30 Prozent der Welt unter Schutz gestellt werden sollen, welche Ökosysteme dafür geeignet sind und welche Nutzung in diesen Gebieten möglich sein soll. Zudem wird über den freien Zugang zu Geninformationen von Tieren und Pflanzen verhandelt sowie über einen gerechten Vorteilsausgleich für Gewinne, die daraus geschöpft werden.
In Deutschland will Lemke naturbasierten Klimaschutz in den nächsten drei Jahren mit 4 Milliarden Euro fördern und etwa in die Wiedervernässung von Mooren investieren. Den Bedarf dafür unterstrich die Umweltorganisation Greenpeace mit einem Report zur bedrohten Artenvielfalt, den sie am Mittwoch vorstellte. Fallbeispiele aus 13 verschiedenen EU-Ländern zeigten, wie intensive Tierhaltung, Gasbohrungen und die Abholzung von Wäldern den Zustand von Ökosystemen verschlechterten.
So hätten zwar 67 Prozent der Wälder in Deutschland einen formellen Schutzstatus, aber nur 2,8 Prozent der gesamten Waldfläche sei streng vor forstwirtschaftlichen Eingriffen wie etwa Holzeinschlag geschützt, [2][heißt es in dem Report]. „Dies gilt auch für den etwa 7 prozentigen Anteil der deutschen Waldfläche, die als europäisches Schutzgebietsnetz Natura 2000 ausgewiesen ist“, schreibt Greenpeace. Es handele sich hierbei fast gänzlich um Buchenwälder. Fast alle der in Deutschland vorkommenden natürlichen Buchenwaldtypen seien als „stark gefährdet“ einzustufen und müssten streng geschützt werden, wenn sie erhalten werden sollen.
Insofern wird für die Buchenwälder der Vertragstext von Montreal bedeutsam. Bei den Verhandlungen im Dezember wird es nämlich auch darum gehen, ob die geschützten Gebiete weiter wirtschaftlich genutzt werden dürfen – und welche Gebiete überhaupt geschützt werden sollen. Zur Debatte steht bislang, entweder besonders schützenswerte, wichtige Ökosysteme einzubeziehen oder aber besonders gefährdete.
67 Prozent der Wälder in Deutschland haben einen formellen Schutzstatus, aber nur 2,8 Prozent der gesamten Waldfläche sind streng vor forstwirtschaftlichen Eingriffen geschützt.
17 Nov 2022
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Entwurf aus dem Umweltministerium zu den laufenden Haushaltsverhandlungen sieht starke Kürzungen vor. Betroffen ist der Artenschutz.
Anwälte sitzen in den Startlöchern, um Artenschutz einzuklagen, wie es beim Klimaschutz teils schon geklappt hat. Einfach wird das nicht.
Weltweit sind rund eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Ein Abkommen soll Biodiversität schützen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Der UN-Gipfel bringt hoffentlich wenigstens dies: Das Verständnis dafür, dass der Schutz der Biodiversität nicht Nashörner retten will, sondern uns.
Vor der zweiten Woche der Artenschutzkonferenz Cites ist das bislang größte Schutzpaket für Haie und Rochen in Sicht. Aber was ist mit Flusspferden?
Der Klimagipfel findet am Roten Meer statt. Ein ägyptischer Forscher erklärt, warum das Ökosystem wichtig ist – und warum er das aus Tokio erforscht.
Woran Schwarz-Rot gescheitert ist, bringt die Ampel auf den Weg: Eine Moorschutzstrategie, die Klima- mit Artenschutz vereinen soll.
Moorboden als Gartenerde? Geht es nach Umweltministerin Steffi Lemke, soll damit bald Schluss sein. Dabei setzt die Grüne auf Freiwilligkeit.
Die Verhandlungen zu einem neuen Artenschutz-Abkommen enden enttäuschend. Die Mitgliedsstaaten können sich nicht auf Ziele einigen.