taz.de -- Aufhebung der Sperrstunde in Bremen: Kollektiver Filmriss
Der Bremer Senat will die Sperrstunde abschaffen. Unter der Woche dürfen Kneipen dann durchgängig geöffnet haben. Aber welche Sperrstunde eigentlich?
Bremen hat eine Sperrstunde: Unter der Woche müssen Kneipen und Clubs zwischen zwei und sechs Uhr schließen. Wussten Sie das? Wir nicht. Dabei sind die News eigentlich, dass der Senat diese nun auf [1][Initiative der Grünen] abschaffen will.
Bereits im Juni hatte der Weser Kurier über den Vorstoß der Grünen-Fraktion berichtet. Nun liegt die Antwort des Bremer Senats vor, aus der hervorgeht, dass die Sperrstunde tatsächlich abgeschafft werden soll – zumindest vorerst, auf zwei Jahre und natürlich mit einer Kampagne, damit sich [2][Anwohner*innen nicht einfach übergangen] fühlen. Das verkündeten die Grünen, als sei es der neueste Coup der rot-grün-roten Koalition: liberal, zukunftsorientiert, einfach geil.
Ist es ja auch: Wer reingehen darf, säuft und grölt nicht draußen. Und wenn Letzteres viele Menschen um zwei Uhr nachts auf einen Schlag machen, ist es umso lauter.
In der Redaktion hält sich jedoch auch nach der Verkündung noch hartnäckig das Gerücht, dass Bremen als eines der ersten Länder die [3][Sperrstunde abgeschafft] hat. Nicht etwa, dass es als eines der letzten noch eine hat.
Happy-Hour als einziger Zwang, die Bar zu verlassen
Oder das „Bermuda-Dreieck“ im Stadtteil Ostertor müsste davon ausgenommen gewesen sein. Jedenfalls faktisch. Anders wären sie nicht zu erklären gewesen, diese nicht enden wollenden Nächte zwischen „Capri Bar“ und „Römer“ im Fehrfeld.
Äußerer Zwang, den Platz am Tresen zu räumen, ging damals höchstens vom sorgsam zwischen den Kneipen aufeinander abgestimmten Happy-Hour-Plan der Etablissements aus, dem viele Gäste im Stundentakt folgten, aber nicht von einer – spürbaren – Sperrstunde. Würde sie wirklich gelten, dürfte das „Heartbreak Hotel“ gar nicht existieren – dort beginnt die Uhr erst ab zwei zu zählen, e-ver-ry night.
Und was ist mit den durchzechten Studi-Nächten von Donnerstag auf Freitag in der kleinen, in einem Kellergeschoss im Viertel beheimateten Disko „Lila Eule“? Wenn man da zum Luftschnappen oder auf der Flucht vor grabschenden Typen um 3.30 Uhr vor die Tür gestolpert war, wurde man zwar von der Security mit strengem, schon bekanntem Blick dazu genötigt, ja still zu sein – das berüchtigte „Eisen“ an der Ecke hatte aber irgendwie doch immer noch auf.
Verzerrte Erinnerungen an längst vergangene Zeiten
Waren das alles Öffnungen aufgrund von Sondergenehmigungen? Geht ja bei so etwas immer – aber in dem Ausmaß? Vielleicht hat das Ordnungsamt auch einfach vergessen, die Sperrstunde konsequent durchzusetzen. Wäre typisch.
Oder sind die Erinnerungen an – nicht nur wegen Corona – vergangene Zeiten so dermaßen verzerrt, dass auch der fantastische Moment vor zwei oder nach sechs Uhr als „durchzechte Nacht“ abgespeichert wurde? Oder fälschlicherweise ein Freitag als Dienstag und ein Samstag als Mittwoch?
Löcher im Raum-Zeit-Kontinuum wären die letzte mögliche Erklärung dafür, dass sich im Nachhinein alles wie eine Nacht angefühlt hat, was meist irgendwann am Vormittag damit endete, dass irgendjemand die Tür des „Heartbreak Hotels“ öffnete und plötzlich gleißendes Sonnenlicht hereinfiel. Und wo wären solche Löcher, wenn nicht in einem Bermuda-Dreieck? Am Ende rührt diese Bezeichnung vielleicht sogar daher?
22 Sep 2022
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