taz.de -- Die Wahrheit: Sie nennen mich Dottore
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die geneigte Leserschaft an einem Poem über die italienische Lebensart erfreuen.
Zum Griechen geh ich nur zur Not.
Der macht auf dicke Hose.
Der lacht zu laut, bringt trocknes Brot.
Verkochtes Lamm in Soße.
Auch der Franzose muss nicht sein.
Schlaff hängt die Trikolore.
Geh ich beim nächsten Eingang rein,
da ruft man: Ciao, Dottore!
Ich werd erkannt, was mir gefällt.
Ich nicke stumm und lässig.
Man sieht in mir den Mann von Welt.
Drum komm ich regelmäßig.
Ich habe stets denselben Platz
gleich neben der Amphore,
und wart auf den Begrüßungssatz:
Wie geht es so, Dottore?
Ich weiß schon, was ich essen will.
Schau dennoch in die Karte.
Gehört sich so. Das ist mein Stil.
Man lässt den Kellner warten.
Nehm Penne Arrabiata echt,
ein Viertel offnen Vino.
Ich sitz und rück’s Besteck zurecht.
Ich biete großes Kino.
Nur geht’s vielleicht: das Radio?
So grell tönt der Cantore.
Va bene, si, des mach ma so.
Mach leisa! Für’n Dottore.
Hier bin ich wer. Was will ich mehr.
Ich fühl’s in jeder Pore.
Und auch noch Akademiker.
Sie nennen mich Dottore.
Das Doktorfälschen regt mich auf.
Plagiate – unverfroren.
Leg ich beim Trinkgeld noch was drauf,
geh ich als Professore.
16 Jun 2022
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