taz.de -- Die Kunst der Woche: Päpstliche Massen

Päpste, überall Päpste. Doch nein, auch Päpstinnen: Lea Draeger schöpft bei Ebensperger aus über 5.000 Zeichnungen, die bischöfliche Anstalten machen.
Bild: Lea Draeger: Ökonomische Päpste und Päpstinnen, Ausstellungsansicht

Das Zahlenverhältnis hat Lea Draeger direkt schon mal umgedreht: Nicht Abertausende Anhänger:innen stapeln sich vor dem Vatikan, stunden- und tagelang auf ein „Habemus Papam“ wartend und darauf, dass der Auserwählte endlich in sein Scheinwerferlicht auf den Balkon tritt. Nein, es tummeln sich hier Päpste und Päpstinnen in einer überwältigenden Schar über Wände und Boden. Die Einzelfigur, die der Masse gegenübertritt, ist hier die Zuschauer:in. Vielleicht sind ja auch die Würdenträger:innen eigentlich immer vollkommen überwältigt von den Massen und der Verantwortung, so wie Kardinal Melville in Nanni Morettis Film „Habemus Papam – Ein Papst büxt aus“, der erst mal abhaut und sich lieber unter das Volk mischt.

Überhaupt sind Draegers vielgeschlechtliche Bischöfe in ihrer Ausstellung „Ökonomische Päpste und Päpstinnen“ in der [1][Galerie Ebensperger] wieder ganz irdisch unterwegs. Da ist ein Batman Papst, ein „Emotional buhlemischer Freizeitpapst“, ein knutschender Papst, eine Päpstin mit Fischgräte. Was mit ca. [2][1,000 Päpsten angefangen hatte], ist zu einer Bildergalerie von weit über 5,000 Zeichnungen angewachsen.

Und wie die Päpste ihre angestammten Situationen verließen und auch mal ein Tänzchen wagten, kamen auch die im Katholizismus eigentlich verunmöglichten Päpstinnen hinzu, die sich in Draegers Bildererzählungen ebenfalls sukzessiv ihren Rollen entziehen und es vom traditionellen „Bitte Lächeln“-Auftrag bis zur „Astronautinnen Päpstin“ geschafft haben.

Künstlerisch könnte das Verfahren, dem Draeger folgt, ökonomischer kaum sein: die Bildfläche beläuft sich stets auf DIN A6, die Zeichnung selbst ist so groß wie eine Streichholzschachtel und zieht derart freistehend und großzügig umrandet den Blick auf sich.

Päpstliche Begegnungen

Oft stammen die Kugelschreiberzeichnungen auf Transparentpapier aus erweiterten Szenen miteinander agierender Päpst:innen, aus denen einzelne Charaktäre oder Begegnungen schließlich frei herausgeschnitten und zu immer neuen Konstellationen zusammengesetzt werden. Mal prangen die Figuren schwarz auf weißem Grund, mal sind sie in einem komplett schwarz ausgemalten Umfeld gerade noch so zu sehen.

Wieder anders verfährt Dreager, die [3][jüngst auch einen Roman veröffentlicht hat], in ihren künstlerischen Faltbüchern wie „Die Heiliginnen“: farbenfroh, vergoldet, überbordend kehrt sie hier die lustvolle Seite des Katholizismus heraus. Auf der Bildebene zumindest, denn auf der Textebene tritt in geschwungener Schrift so manch patriachale Verwicklung ins Kerzenlicht.

Den seriellen Zeichnungen, die hier, im ehemaligen Krematorium, – dem Vorraum zur Grabrede, wenn man so will – jeden kathedralenartigen Winkel erfassen, verleiht Draegers schneller, improvisierter Strich eine starke Ausdruckshaftigkeit, die die Stimmung der Päpste und Päpstinnen unmittelbar übersetzt: in Verzückung, in Verletzlichkeit und oftmals in Boshaftigkeit.

5 Jun 2022

LINKS

[1] https://ebensperger.net/lea-draeger/
[2] /Ausstellungsempfehlung-fuer-Berlin/!5636534
[3] /Schauspielerin-ueber-Debuetroman/!5833112

AUTOREN

Noemi Molitor

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