taz.de -- Gewalt gegen Journalist_innen: Am Hufeisen aufgehängt
Der Berliner Verfassungsschutz will die Gewalt gegen Medienschaffende erklären, scheitert aber am eigenen Weltbild.
Berlin taz | Der [1][Berliner Verfassungsschutzbericht 2021], erschienen am 24. Mai, hat der steigenden Gewalt gegenüber Journalist_innen in diesem Jahr ein Sonderkapitel gewidmet. Denn 2021 wurden 95 Übergriffe auf Medienvertreter_innen in Deutschland dokumentiert, das sind so viele wie nie zuvor.
Das [2][“Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit“ (ECPMF)] bringt die gestiegene Pressefeindlichkeit mit dem Erstarken von Verschwörungstheorien in Verbindung. [3][77 Prozent der Angriffe seien politisch Rechten zuzuordnen.]
Auch der Verfassungsschutzbericht konstatiert, dass die rechtsextremistische Szene „Medienschaffende als Feindbild“ definiere. Im Folgenden arbeitet sich der Bericht an „Medienfeindlichkeit und Islamismus“, sowie „Medienfeindlichkeit und Linksextremismus“ ab – nur dass es darüber wenig zu berichten gibt.
Im Islamismus sei das „Feindbild Medien“ in der Ideologie „fest verankert“, aber „nicht einheitlich“. Es wird kein einziger Übergriff aus Deutschland erwähnt, sondern Bezug auf das Attentat auf Charlie Hebdo im Jahr 2015 in Frankreich genommen.
Auch das Kapitel Linksextremismus ist merkwürdig allgemein gehalten. Die Szene habe „in der jüngeren Vergangenheit keine Kampagnen initiiert“, die sich gegen „Medienvielfalt oder Meinungsfreiheit“ richte. Auch hier finden nur zwei Sachbeschädigungen von 2014 und 2019 Erwähnung.
Polizeigewalt wird nicht erwähnt
Benannt werden ausschließlich die Akteure, die im starren Extremismus-theoretischen Erklärungsmodell Platz finden. Das Medienmagazin ZAPP hatte am 25. Mai [4][dazu getwittert].
So bleibt unerwähnt, dass mindestens [5][12 der 95 Angriffe von Polizeibeamt_innen] im Dienst verübt wurden. Hier kam es zu Verletzungen mit Schlagstöcken und „dem Strahl eines Wasserwerfers, der gezielt auf als ‚Presse‘ gekennzeichnete Personen gerichtet wurde“, wie [6][die Organisation Reporter ohne Grenzen berichtete]. Journalist_innen wurden durch die Polizei bedrängt, geschlagen und durch [7][Platzverweise und Durchsuchungen] an ihrer Arbeit gehindert.
Die zunehmenden Angriffe auf Presse- und Meinungsfreiheit kann man nicht ernst genug nehmen. Doch der Verfassungsschutz beweist mit seiner Herangehensweise, dass er nicht geeignet ist, zum Schutz von Journalist_innen beizutragen. Er leistet in der Auseinandersetzung einen Bärendienst, indem er den Blick auf die Fakten verstellt.
27 May 2022
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Bei Urteilen spielt die Pressefreiheit oft keine Rolle. Auch im Fall einer Journalistin nicht, die von einem Beamten ins Gesicht geschlagen wurde.
Keine unabhängige Ermittlungsstelle kontrolliert die deutsche Polizei. Das steht seit Jahren in der Kritik. Dänemark gilt hingegen als Vorbild.
Innenministerin Faeser und Behördenchef Haldenwang haben den neuen Verfassungsschutzbericht vorgestellt. Sie warnen vor Terror und Gewalt von rechts.
Ein Lagebericht zeigt: In den Sicherheitsbehörden gibt es mehr als 300 Rechtsextremisten. Erstmals werden auch „private“ Netzwerke benannt.
Für seine Berichterstattung über die IAA-Proteste betrat ein taz-Reporter ein besetztes Haus in München. Dafür wurde er nun verurteilt.
Reporter ohne Grenzen hat seine neue Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht. Deutschland rutscht darin weiter ab. Mitverantwortlich: „Querdenker“ und Polizei.