taz.de -- Sprechen über Krieg und Frieden: „Wenn alle zusammenstehen“

Wie soll man Kindern den Krieg erklären? Unserer Autorin fällt nur ihre Definition von Frieden ein. Trotzdem versucht sie, die richtigen Worte zu finden.
Bild: Bei Sirenengeheul wird im Keller Schutz gesucht, nicht nur in Odessa

Ich weiß noch immer nicht, wie man Kindern erklärt, was Krieg ist. Und ich habe für mich selbst noch nicht abschließend geklärt, wie man richtig mit ihnen darüber spricht. Ich verhalte mich intuitiv und sage mir immer wieder: „Jeder Krieg endet irgendwann. Wichtig ist vor allem, Mensch zu bleiben.“

In den ersten Tagen der Bombardierungen herrschte Panik. Ich erklärte den Erwachsenen in meiner Umgebung streng, dass wir nicht laut weinen, nicht aus Angst vor den Schüssen schreien und nicht in Ohnmacht fallen sollten. Denn Kinder beobachten unser Verhalten und lernen daraus.

Bei jedem Sirenengeheul gingen wir alle gemeinsam gehorsam in den Keller. Alles, was wir taten, kommentierte ich:„Jetzt gehen wir in den Keller, weil es dort weniger gefährlich ist.“ – „Wir müssen vorbereitet sein, wissen, wo unsere Kleidung liegt, uns schnell anziehen und auch mitten in der Nacht aufstehen, weil wir gerade in einer besonderen Lebenssituation sind.“

Kinder sehen den Krieg live in Tiktok-Videos

Unabhängig vom Verhalten der Erwachsenen hatten die Kinder aber doch große Angst. Sie schauten ja Tiktok-Videos. Und mehr noch als das Video vom Beschuss friedlicher Städte schmerzten dabei die widerwärtigen Witze der Russen, die in dem Video zu hören waren. Die Kinder sahen die Boshaftigkeit und den Spott von Menschen, deren Chef unserer Heimat den Krieg erklärt hatte. Kurz darauf musste ich meinen Söhnen erklären, was Verrat bedeutet.

Am Morgen des 1. März umarmte ich meine Jungs und sagte: „Meine Lieblinge, der Frühling ist da!“ Sie warfen sich sofort in verschiedene Ecken ihrer Betten und schrien: „Sind sie schon da? Bombardieren sie uns?“… Es tut weh, so etwas zu hören.

Ich habe wunderbare Söhne. Sie lieben Tiere, und jedes Mal, wenn wir zum Schutz in den Keller gingen, schleppten sie alle Katzen der Nachbarschaft mit und riefen nach den Hunden. Ich versuche die ganze Zeit, ihnen die Panik zu nehmen. Ich erkläre, dass es normal ist, in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Gefühle zu haben.

Eine große Hilfe für meine Kinder war, dass ihre Lieblingsfußballer mit der ukrainischen Flagge aufs Spielfeld gekommen sind. Ich zeigte ihnen die Erklärung der UEFA. Ich zeigte ihnen, wie auch Real Madrid, FC Barcelona, Manchester City die Ukraine und meine kleinen Ukrainer unterstützen …

Ich erzählte ihnen, dass ihr Lieblingsspieler İlkay Gündoğan auf ihrer Seite ist, ich zeigte ihnen die Tränen von Sintschenko, Mykolenko und anderen. Dann weinten wir gemeinsam. Ich zeigte ihnen Bilder der großen [1][Demonstrationen mit Tausenden von Menschen] in verschiedenen Ländern, darunter Deutschland. Das sollt ihr wissen! Wir sehen das! Und es hilft uns sehr.

Ich weiß immer noch nicht, wie man mit seinem Kindern über den Krieg spricht, aber ich weiß genau, wie man ihnen erklärt, was Frieden ist. Frieden ist, wenn alle zusammenstehen!

Aus dem Russischen von [2][Gaby Coldewey].

Finanziert wird das Projekt durch die [3][taz Panter Stiftung].

22 Mar 2022

LINKS

[1] /Grossdemonstration-in-Berlin/!5835038
[2] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[3] /!p4550/

AUTOREN

Milimko

TAGS

Kolumne Krieg und Frieden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Odessa
IG
Osteuropa – ein Gedankenaustausch
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kolumne Krieg und Frieden
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Krieg
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine

ARTIKEL ZUM THEMA

Ukrainische Kinder im Krieg: Mit Schild und Schwert

Der Krieg lässt junge Ukrainer über Nacht erwachsen werden. Das stellt die Eltern vor ganz neue Herausforderungen.

Schulunterricht in der Ukraine: Lernen in Sicherheit

Am 1. September hat in der Ukraine trotz andauerndem Krieg das neue Schuljahr begonnen. Wer will, lernt von zu Hause. Und Russisch ist nur noch fakultativ.

Zerstörte Infrastruktur in der Ukraine: Ohne Wasser und unter Beschuss

Im südukrainischen Mikolajiw wurde die Wasserversorgung durch eine Rakete lahmgelegt. Eine Sammelaktion in Odessa bringt schnell Hilfe.

Pflegekinder aus der Ukraine: Große Hilfsbereitschaft

Ein Suchaufruf nach Pflegeeltern für 50 Waisenkindern aus der Ukraine entpuppt sich als Missverständnis. Aber die Resonanz darauf war enorm.

Ukrainische Gegenoffensive: Beobachter erwarten Kämpfe vor Kiew

Im Kiewer Vorort Irpin könnten ukrainische Kräfte einen Vorstoß wagen. Zwischen Polen und Russland kommt es zu einem diplomatischen Schlagabtausch.

Notizen aus dem Krieg: Immerhin schreibe ich Tagebuch

Unsere Autorin Polina Fedorenko und ihre Familie wollten eigentlich in Kyiv bleiben. Dann schlägt eine russische Rakete nebenan ein.

Die Wahrheit: Zugejaulter Putin

Tagebuch einer Wütenden: Schwangere im Panzer? Vielleicht ist das ja der einzig sichere Ort im Krieg momentan für Frauen.

Tagebuch eines Schriftstellers: „Denk mit einem Lächeln an mich“

Andrej Kurkow schreibt Romane über die Ukraine und Russland. In seinem Tagebuch erzählt er nun von einer Flucht durch den Westen des Landes.