taz.de -- Ermordete Journalist*innen in Mexiko: Uferlose Gewalt
Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador galt als linker Reformer. Doch die Lage von Medienschaffenden hat sich unter ihm weiter verschlechtert.
Mexiko-Stadt taz | 25 Journalist*innen wurden in Mexiko aufgrund ihrer Arbeit ermordet, seit Präsident Andrés Manuel López Obrador [1][vor drei Jahren die Präsidentschaft übernommen hat]. 25 Medienschaffende gelten seit 2006 als verschwunden, sprich: Sie wurden von Kriminellen oder Polizist*innen verschleppt und sind nie wieder aufgetaucht. Über diese traurige Bilanz informierte Reporter ohne Grenzen (RSF) am Mittwoch in Mexiko-Stadt. Eine Delegation der Organisation für Pressefreiheit befindet sich in diesen Tagen im Land, um mit Politiker*innen, Angehörigen von Opfern und Menschenrechtsinstitutionen zu sprechen.
Ein erstes Resümee stellt López Obrador, der 2018 [2][als linker Reformer sein Amt angetreten hat], ein schlechtes Zeugnis aus. „Seit drei Jahren in Folge ist Mexiko das weltweit gefährlichste Land für Journalisten“, sagte der Leiter des RSF-Büros Lateinamerika, Emmanuel Colombié. Auch in der Aufklärung kann die Regierung keine großen Erfolge vorweisen. 90 Prozent der Morde wurden nicht juristisch verurteilt, kein einziger Fall des Verschwindenlassens hatte strafrechtliche Konsequenzen.
Der Kampf gegen diese Straflosigkeit ist einer der Schwerpunkte der RSF-Reise. Denn die Tatsache, dass die meisten Verbrechen nicht geahndet werden, ist einer der wesentlichen Gründe für die uferlose Gewalt im Land. Nur der Druck der Zivilgesellschaft habe dazu geführt, dass es fünf Verurteilungen in Mordverfahren gegeben habe, betont Sara Mendiola von der Nichtregierungsorganisation Propuesta Cívica. Dabei handelt sich um die tödlichen Angriffe auf drei Journalist*nnen, die in Mexiko besondere Aufmerksamkeit hervorgerufen hatten: Miroslawa Breach, Javier Valdéz und Regina Martinez. Ein bemerkenswerter Fortschritt sei es, dass auch ein Bürgermeister unter den Verurteilten sei, erklärt Mendiola.
Seit 2012 gibt es, ebenfalls aufgrund zivilgesellschaftlicher Initiativen, einen „Mechanismus zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten“, der den Bedrohten Nottelefone, Überwachungskameras, Personenschutz und andere Hilfen zur Verfügung stellt. Doch bis heute sei das Programm nicht ausreichend ausgestattet, kritisierte Christian Mihr, der Geschäftsführer von RSF Deutschland, im Gespräch mit der taz. „Für 1.500 Fälle, von denen knapp 500 Journalisten betreffen, gibt es nur 50 Mitarbeiter.“ Erfreulicherweise hätten die Verantwortlichen aber konkrete Zusagen gemacht. So wolle man ein Register anlegen, in dem alle Angriffe festgehalten werden. Zudem sollten künftig verbindlich mehr Fälle bearbeitet werden.
Morde vor allem auf dem Land
Vor allem in den ländlichen Regionen sterben viele Medienschaffende eines unnatürlichen Todes, weil sie über Verbindungen zwischen Kriminellen, korrupten Politiker*innen und wirtschaftlich Mächtigen recherchieren. Aber Journalist*innen sind auch direkt von staatlichen Angriffen betroffen. So wurde jüngst bekannt, dass die Reporterin Marcela Turati und zwei weitere Personen von der Generalstaatsanwaltschaft ausspioniert wurden, als sie unter der vorhergehenden Regierung vor sechs Jahren unter anderem zu einem Massaker an 72 Migrant*innen recherchierten.
Auch der amtierende Staatschef López Obrador [3][hat die Medien im Visier]. Kaum eine seiner täglichen Pressekonferenzen vergeht, ohne [4][dass er gegen Journalist*innen polemisiert, die ihn kritisieren]. Dabei scheut er auch nicht davor zurück, diese namentlich zu denunzieren. Wie Umweltschützer*innen und andere Kritiker*innen seiner Infrastruktur-Großprojekte beschimpft er unliebsame Medienschaffende als „Konservative“. Leider habe sich mit López Obrador nichts geändert, resümiert RSF-Sprecher Mihr. „Im Gegenteil: Mit seiner systematischen Stigmatisierung von Journalisten trägt er zu einem noch medienfeindlicheren Klima in Mexiko bei.“
9 Dec 2021
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