taz.de -- Waldbrände in Griechenland: Flammende Solidarität
Noch immer sind die verheerenden Waldbrände nicht unter Kontrolle. Der Feuerwehr fehlt es an Ausrüstung, die Bewohner*innen springen ein.
Athen taz | In der Suppenküche des Kollektivs Elchef im linken Athener Studentenviertel Exarchia treffen am vergangenen Freitag viele Menschen aufeinander. Eigentlich ist hier, wo sonst 150 bis 200 Mahlzeiten täglich verteilt werden, jetzt Sommerpause. Gefolgt sind die freiwilligen Helfer*innen dennoch dem Aufruf des Suppenküchenkollektivs.
Seit nunmehr sechs Tagen sammeln und verteilen die Unterstützer*innen Hilfsgüter wie Augentropfen, Schmerzmittel, Bandagen, Sauerstoffflaschen, Lebensmittel, Tierfutter und Wasserflaschen an die Feuerwehrleute und die Opfer der [1][verheerenden Waldbrände] in der Region Attika rund um Athen. Trotz extremer Hitze und obwohl die griechische Zivilschutzbehörde die Bevölkerung dringend dazu aufruft, ihre Wohnungen und Häuser wegen der starken Rauchbildung nicht zu verlassen, kommen am Nachmittag kontinuierlich Leute, um neue Hilfsgüter zu bringen. Es scheint so, als wolle man sich ein wenig Mut zusprechen, angesichts des hilflosen Gefühls gegenüber der kilometerlangen Feuerfront.
Denn viele Einwohner*innen Griechenlands fühlen sich derzeit wie in einem Ausnahmezustand. Ein Großteil ihres Landes steht in Flammen. Nicht nur in den [2][Vororten von Athen] und in den Waldgebieten Attikas wütet das Feuer und sind zahlreiche Häuser abgebrannt. Auch auf der Halbinsel Euböa im Norden brennen Dörfer und auch für die Region Ilia auf dem Peleponnes sind es schwierige Zeiten. Laut Expertenmeinung wurden in den vergangenen vier Tagen 50 Prozent der Fläche zerstört, die normalerweise in einer ganzen Feuersaison verbrennt.
In der Suppenküche in Exarchia erzählt Aktivistin Litsa, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, dass sie seit Tagen auf den Beinen sei und derzeit mit nur zwei Stunden Schlaf pro Nacht auskomme. Dreimal ist sie zuletzt mit Hilfsgütern zum Athener Vorort Varibobi gefahren, wo es ebenfalls heftig brannte. Trotz der Angst, der Kopfschmerzen und der Atemnot. „Man muss etwas tun, denn die Regierung handelt gleichgültig“, sagt die junge Frau. So wie Litsa denken wohl viele Griech*innen. Infolge der vielen Korruptionsskandale und des Missmanagements, wie zuletzt während der Coronapandemie, haben viele Bürger*innen das Vertrauen in die griechische Regierung verloren.
Keine neue Ausrüstung für die Feuerwehr
Stattdessen ist Eigeninitiative gefragt, doch manchmal kommt eben auch jedes noch so gut gemeinte Engagement zu spät. Zwei große Flüchtlingscamps, die schließlich evakuiert wurden, hätten sie mit ihren Hilfsgütern nicht mehr erreichen können, erzählt Litsa. Das Feuer hatte ihnen auf beiden Seiten der Bundesstraße von Athen nach Lamia den Weg abgeschnitten. Schockierend seien die Bilder auf dem Weg dorthin gewesen: Feuerwehrleute und freiwillige Helfer, die ohne ausreichendes Gerät eine riesige Feuerwalze bekämpften.
Denn die Ausrüstung der Feuerwehrleute im ganzen Land wurde seit 2009 nicht erneuert. Und so fehlt es vielerorts an einfachsten Einsatzmitteln wie Handschuhen, Augentropfen, Trinkwasser und Brandschutzsalben. In mehreren Berichten der griechischen Presse heißt es zudem, dass der Vertrag mit fünftausend Feuerwehrleuten für den landesweiten Brandschutz in Wäldern von der Regierung nicht verlängert wurde, obwohl die Forstämter im ganzen Land 17,7 Millionen Euro forderten. Warum die Regierung laut Webportal News247 stattdessen nur 1,7 Millionen Euro für die Brandbekämpfung zur Verfügung stellte, fragen sich viele.
So wie auch der Biobauer und Ausbilder Thodoris Arvanitis aus Afidnes, einer Ortschaft im Nordosten von Attika, der die Athener*innen seit Jahren mit frischem Biogemüse beliefert. Eine ganze Nacht lang verteidigte er – entgegen den Anweisungen der Polizei – sein Stück Land mit nur ein paar Wassereimern, nachdem das Feuer seine Bewässerungsschläuche zerstörte.
Dass sein bebautes Land nur knapp dem Feuer entkam, hat er auch einem seiner ehemaligen Schüler zu verdanken, der bei der Feuerwehr arbeitet. Um 5 Uhr morgens hatte Thodoris Arvanitis einen Hilferuf in den sozialen Netzwerken gepostet, den der ehemalige Schüler gelesen hatte. In letzter Minute kam er mit einem Feuerwehrauto vorbei. Vom Staat fühlt sich Thodoris Arvanitis – so wie auch viele Griechen*innen, die zuletzt ähnliche Erfahrungen sammelten – völlig im Stich gelassen: „Auf Solidarität kann man zählen, aber nicht auf einen staatlich organisierten professionellen Brandschutz.“
8 Aug 2021
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