taz.de -- Kunsttipps für Berlin: Regungen und Anregungen

Nicht nur Rebecca Horn setzt ihre Kunst in Bewegung. Kinetisches und Animatronisches findet sich auch in anderen Kreuzberger Galerien.
Bild: Geumhyung Jeong, „Under Maintenance“, 2021, Ausstellungsansicht, Klemm’s

Fast schon einer kleinen musealen Retrospektive gleicht die Einzelausstellung von Rebecca Horn bei [1][Thomas Schulte]. Bienen summen dort, Spiegel drehen sich, Geigen, die an Holzleitern in Fenstererkern in die Höhe klettern, fangen urplötzlich an zu spielen. Zweifellos ist die Schau, mit der die Galerie ihren [2][30. Geburtstag] feiert, eines der Highlights unter den Ausstellungen, die zum diesjährigen Gallery Weekend starteten. Und sie erscheint für diesen Kunstfrühling geradezu programmatisch. Die Kunst setzt sich nach der Zwangspause wieder in Bewegung und tatsächlich scheinen sich ein paar Künstlerinnen Horn zum Vorbild genommen zu haben – und haben ihre Werke animiert.

In den Räumen von [3][Klemm’s] könnte man sich in einer Roboterwerkstatt wähnen. Die Künstlerin Geumhyung Jeong hat dort auf einem u-förmigem Tisch Kabel, Batterien, Werkzeuge und halbfertige, mit Hanteln fixierte Maschinenwesen aufgereiht, ein organisiertes Chaos, das so aussieht, als könnte deren Erschafferin gleich wieder zur Tür hineinkommen, um weiter an ihnen zu basteln.

Geumhyung Jeong hat sich den Umgang mit der Technik selbst angeeignet, alles wirkt ein wenig DIY, improvisiert, als sei sie noch dabei, daran zu feilen. In mehreren Videoarbeiten, die rund um den Tisch installiert sind, kann man beobachten, wie die Künstlerin mit ihren Robotern arbeitet, intuitiv, einfühlsam, wenn man so will, tänzerisch. Letzteres ist wenig erstaunlich. Tanz und Choreographie gehören zu Geumhyung Jeongs künstlerischem Repertoire.

Körper und Korsett

Direkt nebenan hat die Künstlerin Paloma Proudfoot gemeinsam mit der Choreographin Aniela Piasecka Skulpturen und Sound zum „Ensemble“ formiert. „Eine leichte Berührung dehnt sich aus zu dem Gipfel deines Kopfes, hinabgleitend“, flüstert da eine weibliche Stimme in so perfekter ASMR-Tonlage, dass man sie tatsächlich zu spüren scheint, jene Berührung an der Braue, an den Augenlidern, der Nase, womöglich im gesamten Körper.

In den Skulpturen des Duos verschmelzen Kleidungsstücke zu Prothesen, treten Körperfunktionen bildlich hervor. Oder handelt es sich doch eher um mechanische Geräte, in deren Form und Bewegung das Auge Menschliches erkennen möchte?

In der Mitte dreht sich ein Korsettunterbau ruckelig um sich selbst, seine Formen finden sich in einer Schnittmusterzeichnung an der Wand wieder. Proudfoot & Piasecka inspizieren Körper, deren Proportionen, vermeintliche Idealmaße, aber auch ihre Verletzlichkeit auf sinnliche wie hintersinnig humorvolle Art und Weise.

Zwinkernde Wahrnehmung

Mit diesen Eindrücken im Kopf, nach all den kinetischen, animatronischen Figuren und Gebilden könnte es tatsächlich passieren, dass einem die Wahrnehmung kleine Streiche spielt. Hat sich da nicht gerade doch eine der bonbonfarbenen Sparschweinfiguren von Agnes Scherer (zu sehen bei [4][ChertLüdde]) bewegt?

Und hat Scherers eiförmige Version der Prinzessin Margarita Theresa von Spanien – jene Infantin, die Velázquez malerisch verewigte und die mit nur 21 Jahren nach der Geburt ihres sechsten Kindes verstarb – nicht gerade gezwinkert? Zumindest auf einem ihrer zwei Gesichter?

11 May 2021

LINKS

[1] https://www.galeriethomasschulte.de/exhibitions/current-exhibitions/
[2] /Archiv-Suche/!5765139&s=brigitte+werneburg&SuchRahmen=Print/
[3] http://www.klemms-berlin.com/
[4] https://chertluedde.com/exhibition/agnes-schererapril-2021on-the-occasion-of-gallery-weekend-berlin/

AUTOREN

Beate Scheder

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