taz.de -- Die Lage im Berliner Amateurfußball: Kein Fußball ist auch keine Lösung
Bei den Profis steht das DFB-Pokalfinale an. Doch die Amateur*innen dürfen seit über einem halben Jahr nicht einmal mehr gemeinsam trainieren.
Berlin taz | Im Finale des [1][DFB-Pokals der Männer], das 13. Mai auch in diesem Jahr im Berliner Olympiastadion stattfinden soll, treffen mit Borussia Dortmund und RB Leipzig zwei Bundesligisten aufeinander. Theoretisch jedoch hätte auch einer der im Wettbewerb vertretenen reinen Amateurvereine aus der Oberliga ins Finale einziehen können. Zum Glück aber sind alle sechs von ihnen bereits in der ersten Runde an höherklassigen Teams gescheitert. Andernfalls wäre es wohl nämlich ziemlich kompliziert geworden.
Zwar gibt es ein 89 Seiten umfassendes Hygienekonzept des DFB, das auch für den Pokal gilt. Wer und in welcher Form aber überhaupt Sport treiben darf, ist eine Frage, mit der sich nicht die Sportverbände, sondern die Innenministerien der Bundesländer zu befassen haben. Und deren Haltung ist bei allen regionalen Unterschieden doch zumindest in einem Punkt recht einheitlich: Profi- und Leistungssport ja, Amateur-, Kinder- und Jugendsport nur unter – teils extremen – Einschränkungen.
Das gilt auch für Berlin. Abgesehen von den Spielen der Bundesligisten Hertha und Union hat in der Hauptstadt seit Anfang November – also seit über einem halben Jahr – kein einziges Pflichtspiel mehr stattgefunden. Die Regionallisten wie Tennis Borussia oder der BFC Dynamo haben zwar in den letzten Wochen vereinzelt Testspiele absolviert. Den reinen Amateurmannschaften aus den Ligen darunter bleibt jedoch nicht einmal das.
Auch an einen geregelten Trainingsbetrieb ist nicht einmal ansatzweise zu denken. Das zeigt ein Blick Kreuzberg zur [2][FSV Hansa 07]. Mit über Tausend Mitgliedern und 42 Teams hat der Verein die größte Fußballabteilung des Stadtteils. Das aktive Vereinsleben ist jedoch weitgehend zum Erliegen gekommen.
Kontaktloses Trainieren in Kleingruppen
Die Spieler der ersten Herrenmannschaft, die immerhin in der Bezirksliga spielt, trainieren derzeit, wenn überhaupt, nur individuell. Bei den anderen Teams bis hinunter zur C-Jugend sieht es kaum anders aus. Die Jugendlichen bis zur D-Jugend trainieren immerhin kontaktlos in Kleingruppen. „Es ist aber relativ schwierig, den Kindern zu vermitteln, warum die Gruppen nun wieder so klein sein müssen und Spiele nicht erlaubt sind“, erläutert Yasmin Ranjbare, die Jugendleiterin des Vereins. „Sie sehen ja jeden Tag, wie voll zum Beispiel Busse und Bahnen sind.“
Zwei U-Bahn-Stationen weiter beim [3][DFC Kreuzberg] sieht es nicht viel anders aus. Gerade einmal zwei Pflichtspiele hat das 11er-Team des Vereins innerhalb des letzten Jahres absolviert, eines im Pokal und eines in der Bezirksliga. Hinzu kommen einige wenige Freundschaftsspiele, das letzte Ende Oktober gegen Berolina Mitte. Auch das Training findet derzeit nur per Videokonferenz statt. „Wir trainieren zweimal die Woche online zu unseren regulären Trainingszeiten“, erzählt Trainer*in Maria* Bochow. „Ich leite das Training komplett an, so wie auf dem Trainingsplatz – nur halt bei Zoom.“
Auf dem Trainingsplan stehen neben Aufwärmübungen, Fitness und Kondition auch Übungen am Ball, die so ausgelegt sind, das sie auch auf kleinem Raum durchgeführt werden können. „Ich finde, das es recht gut funktioniert“, so Bochow. „Es gibt aber auch Spieler*innen, die nicht daran teilnehmen, weil sie schon den ganzen Tag im Homeoffice vor dem Rechner sitzen und dann lieber draußen laufen gehen.“
Größere Austrittswellen hat es weder bei Hansa noch beim DFC gegeben. Das muss aber nicht so bleiben, wenn sich nicht bald etwas ändert. Die Fußballer*innen sind ja nicht Mitglieder im Verein, weil sie so gerne Mitgliedsbeiträge zahlen. Sie wollen Fußball spielen, und genau das ist derzeit nicht möglich. Zumindest nicht im Verein. Einige spielen stattdessen in den Käfigen, auf den Bolzplätzen oder im Park. Manche aber auch nur noch auf der Konsole. Oder halt gar nicht.
Das Vereinsleben ruht weitgehend
Die Situation ist auch für Trainer*innen nicht einfach, erzählt Bochow. „Ich kann mir gut vorstellen, dass einige die Lust verlieren und aufhören.“ Das Vereinsleben abseits des Platzes ruht ebenfalls weitgehend. Die Vereinsheime sind geschlossen, Gremien tagen meist online. „Der Vorstand hat zuletzt 2020 in Präsenz getagt“, berichtet Ranjbare. „Wir kriegen das auch so alles ganz gut hin, aber wir würden natürlich auch gerne mal wieder bei Waltraud im Hansa-Keller zusammen eine Limo trinken.“
Wann genau der geregelte Trainings- und Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann, weiß momentan niemand. Es gibt jedoch Grund zur Hoffnung. Nicht nur sinkende Inzidenzwerte und steigende Impfquoten weisen in eine positive Richtung, auch ein offener Brief der Gesellschaft für [4][Aerosolforschung] an die Bundesregierung Anfang April ließ viele Fußballer*innen aufhorchen. Das Coronavirus werde im Freien „äußert selten“ übertragen, hieß es dort, und Clusterinfektionen gäbe es überhaupt keine.
Beim DFC gibt man sich denn auch vorsichtig optimistisch, Trainer*in Bochow hofft auf einen Trainingsstart vielleicht schon im Juni. Yasmin Ranjbare von der Hansa 07 wird sogar noch etwas deutlicher. „Sport unter freiem Himmel muss wieder möglich gemacht werden. Die Konzepte dafür gibt es“, sagt sie. „Amateurfußball ist nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung!“
8 May 2021
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