taz.de -- Gerichtsurteil zu Vorgehen Tschechiens: Impfpflicht für Kinder zulässig

In Tschechien besteht Impflicht für neun Kinderkrankheiten. Bei Verstoß ist ein Bußgeld rechtens, urteilte Straßburg jetzt.
Bild: Schutzimpfung für Kinder verstößt nicht gegen Menschenrechte, urteilten die Straßburger RichterInnen

Eine Impfpflicht für Kinder verstößt nicht gegen die Menschenrechte. Das entschied [1][an diesem Donnerstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)] in mehreren Fällen aus Tschechien.

In Tschechien besteht eine Impflicht für neun Kinderkrankheiten, unter anderem Kinderlähmung, Diphtherie und Masern. Kinder können davon aus medizinischen Gründen befreit werden. Auch Gewissensentscheidungen der Eltern gegen Impfungen sind möglich, werden aber nur recht restriktiv anerkannt. Eine abweichende Einschätzung der Impfgefahren genügt nicht.

Wenn die Eltern die Impfpflicht aus nicht anerkannten Gründen ablehnen, drohen ihnen Bußgelder bis zu umgerechnet 400 Euro. Außerdem können die Kinder von Vorschuleinrichtungen ausgeschlossen werden. Die Kinder werden aber nicht zwangsweise geimpft.

Beim EGMR in Straßburg klagte ein Vater, der umgerechnet 110 Euro Bußgeld zahlen musste, weil seine beiden Kinder nur unvollständig geimpft waren. Außerdem klagten fünf Personen, die als Kinder wegen ihres mangelhaften Impfstatus nicht in die Kita oder den Kindergarten durften.

Für den Gerichtshof, der für 47 europäische Staaten zuständig ist, war es die erste Entscheidung über eine nationale Impfpflicht. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung entschied die mit 17 RichterInnen besetzte Große Kammer.

Der EGMR wertete Bußgelder und den Ausschluss von Vorschuleinrichtungen als Eingriff in das Recht auf Privatleben. Dies sei aber gerechtfertigt, weil die Impfpflicht dem Schutz vor gefährlichen Krankheiten diene. Sie nutze nicht nur den geimpften Kindern, sondern über die Herdenimmunität auch denjenigen, die nicht geimpft werden können.

Karlsruhe entscheidet noch dieses Jahr

In Europa bestehe ein Konsens, so die RichterInnen, dass Impfungen eine der erfolgreichsten und effektivsten Maßnahmen der Gesundheitspolitik sind und dass jeder Staat einen möglichst hohen Impfgrad anstreben sollte. Es gebe aber keinen allgemein anerkannten Weg, dieses Ziel zu erreichen, betonte der EGMR. Manche Länder haben eine Impfpflicht, die meisten verzichten darauf.

Rechtlich gesehen, gebe es einen weiten Gestaltungsspielraum, den Tschechien nicht überschritten habe. Die verhängten Sanktionen seien moderat und nicht unverhältnismäßig.

Die Entscheidung der Großen Kammer fiel mit 16 zu 1 Richterstimmen. Nur der polnische Richter Krzysztof Wojtyczek votierte zugunsten der Kläger. Rechtsmittel sind keine mehr möglich. (Az.: [2][47621/13] u. a.).

In Deutschland gilt seit März 2020 eine Masernimpfpflicht für Kita- und Schulkinder. Außerdem müssen Personen, die in Schulen, Kitas, Krankenhäusern, Arztpraxen und Flüchtlingsheimen arbeiten, eine Masernimpfung nachweisen. Dagegen wurden mehrere Verfassungsbeschwerden eingelegt, über die das Bundesverfassungsgericht noch in diesem Jahr entscheiden will.

Im Mai 2020 [3][lehnte Karlsruhe einen Antrag auf einstweilige Anordnung ab]. Wegen Corona wurde die Übergangsfrist für Beschäftigte bis Ende 2021 verlängert.

8 Apr 2021

LINKS

[1] https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=EGMR&Datum=31.12.2222&Aktenzeichen=47621%2F13
[2] https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=EGMR&Datum=31.12.2222&Aktenzeichen=47621%2F13
[3] /Maserngesetz-vor-Verfassungsgericht/!5687001

AUTOREN

Christian Rath

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