taz.de -- Oppositionspolitiker über Belarus: „Das Problem heißt Lukaschenko“

Der 25. März ist Gründungstag der belarussischen Volksrepublik. Den Protesten gegen Lukaschenko soll das neuen Aufwind geben, sagt Pawel Latuschka.
Bild: Eine von rund 34.000 Festnahmen bei den Protesten in Belarus

taz: Herr Latuschka, auch dieses Jahr geht die Opposition in Belarus am Gründungstag der belarussischen Volksrepublik, dem 25. März, auf die Straße. Was versprechen Sie sich davon?

Pawel Latuschka: Der 25. März ist für uns der Tag der Freiheit. Er wird mit unseren Protesten der Auftakt eines neuen Kampfes in diesem Jahr sein und eine weitere Etappe im Kampf für die Demokratie darstellen.

Wie ist derzeit die Lage in Belarus?

Derzeit sitzen 290 politische Gefangene in belarussischen Gefängnissen. Fünf von ihnen befinden sich in einem [1][Hungerstreik], zwei haben versucht, sich das Leben zu nehmen. Vor wenigen Tagen wurden die Ermittlungen gegen zwölf Studierende abgeschlossen. Auch ihnen drohen langjährige Haftstrafen. Mein Neffe berichtete mir von seinen eigenen zwei Wochen im Gefängnis, dass es immer wieder vorgekommen sei, dass ein Wärter die Luke einer Zelle geöffnet und Tränengas hinein gesprüht habe. Die Haft ist unmenschlich, die meisten Inhaftierten in den überfüllten Zellen sind an Covid erkrankt.

Haben sich die Forderungen der Opposition verändert?

Wir wollen Verhandlungen. Vorbedingung dafür ist die Freilassung aller politischen Gefangenen, ein Ende der Repressionen und die Bestrafung derer, die Gefangene misshandelt haben. Bisher wurde kein einziges Verfahren wegen Misshandlung eines Protestierenden eröffnet. Und wir wollen freie und demokratische Wahlen. Das Problem, das wir haben, heißt Lukaschenko. Solange dieses Problem nicht gelöst ist, wird es politische Gefangene geben.

Sind Sie auf ein Belarus ohne Lukaschenko vorbereitet?

Bei uns in der Opposition arbeiten erfahrene Leute. Mehrere haben Erfahrung mit Regierungsarbeit. Unter uns sind ehemalige Mitarbeiter der Präsidialadministration, des Sicherheitsrates, des Innenministeriums, des Kulturministeriums und anderer Behörden. Was wir während eines Übergangs brauchen, ist vor allem Stabilität. Perspektivisch stelle ich mir eine parlamentarische Demokratie vor, in der der Präsident nur repräsentative Aufgaben hat. So wie in Deutschland.

Waren die Maßnahmen, die Europa ergriffen hat, hilfreich?

Ich finde es enttäuschend, dass Belarus für Europa so unwichtig ist. Von Solidarität spüren wir wenig. Wenn sich die EU-Staats- und Regierungschefs am 25. und 26. März per Videokonferenz treffen, steht Belarus nicht einmal auf der Tagesordnung.

Aber die EU hat doch Sanktionen gegen Belarus verhängt?

Die sind doch eher kosmetisch. Wichtig wären starke persönliche Sanktionen gegen Angehörige der Machtstrukturen, gegen Richter, die ungerechte Urteile gefällt haben, gegen Polizisten, Angehörige der Geheimdienste, Direktoren von Firmen, die Mitarbeiter aus politischen Gründen entlassen haben. Und in die Sanktionsliste müssen auch Rektoren aufgenommen werden, die [2][Studierende wegen ihrer Teilnahme an Demonstrationen] exmatrikuliert haben. Denn diese Studenten sind jetzt zum großen Teil in Haft. Für Lukaschenko sind die jetzigen sogenannten Sanktionen doch lächerlich. Als 2010 im Zuge der Proteste 600 Menschen festgenommen wurden, hat die EU Strafmaßnahmen verhängt, die viel schwerwiegender waren. Natürlich liegt unser Schicksal in unseren Händen, aber Unterstützung aus Europa ist definitiv sehr wichtig für uns.

Wie beurteilen Sie das Engagement deutscher Politiker?

Von deutschen Politikern höre ich immer wieder die Frage: „Wie lange werdet ihr noch demonstrieren?“ Für mich hört sich das so an, als warteten sie nur auf ein Ende unserer Proteste. Doch wie könnten wir aufhören, wenn wir wissen, dass derzeit 2.407 Strafprozesse gegen Protestierende anhängig sind.

Was erwarten Sie von der europäischen Zivilgesellschaft?

Sehen Sie sich doch mal die Zusammenarbeit deutscher Unternehmen mit Belarus an. Siemens liefert Ausrüstung an belarussische Energieunternehmen, etwa die Partnerfirma Minskenergo. Die hat Arbeiter entlassen, weil sie sich an Protestaktionen beteiligt haben. Oder nehmen wir Mercedes: Lukaschenko hat für 2 Millionen Euro bei Mercedes Pkws für seinen Wagenpark gekauft. Gleichzeitig fehlt in Belarus aber Geld zur Bekämpfung von Covid. Ich denke, es darf der deutschen Zivilgesellschaft nicht egal sein, dass Firmen wie Siemens oder Mercedes mit dem Diktator Lukaschenko zusammenarbeiten.

Inwieweit wird Russland die weitere Entwicklung in Belarus beeinflussen?

Klar ist, dass das Schicksal von Belarus auch daran hängt, wie Russland sich verhalten wird. Russland hatte in der belarussischen Bevölkerung immer einen Vertrauensvorschuss. Doch Moskau hat sich nicht auf die Seite des belarussischen Volkes gestellt, sondern Lukaschenko unterstützt. Das war ein Fehler. Denn so ist die Basis für tiefe Beziehungen zu Russland in Belarus kleiner geworden. Würde Putin Lukaschenko klar sagen: „Geh“, würde das Ansehen Russlands in der Bevölkerung wieder steigen. Wir als Opposition haben keine geopolitischen Präferenzen. Wir treten für die Achtung der Menschenrechte, Freiheiten sowie ein Ende der Repressionen ein.

Derzeit leben Sie in Polen [3][im Exil]. Sehen Sie für sich eine Rolle in der belarussischen Politik, sollte Lukaschenko abtreten?

Ich will bei Parlamentswahlen kandidieren. Ob ich auch bei Präsidentschaftswahlen antrete, werde ich gemeinsam mit meinem Team entscheiden. Abhängen wird dieser Schritt auch davon, ob ich für so eine Kandidatur den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung haben werde.

25 Mar 2021

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AUTOREN

Bernhard Clasen

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