taz.de -- Schlag gegen Hongkongs DemokratInnen: Willkür statt Rechtsstaat
Demokratieaktivist:innen stehen in Hongkong wegen „Verschwörung zum Umsturz“ vor Gericht. China stellt sich über bisheriges Recht – und über das Volk.
Hongkong ist bis zum Ende der britischen Zeit trotz pluralistischer Wahlen keine Demokratie gewesen, aber ein vollwertiger Rechtsstaat. Alle vertrauten dem, was auf Englisch „rule of law“ heißt und bedeutet, dass niemand über dem Recht steht, auch die Regierung nicht. Im Kontrast dazu steht in China, zu dem das eigentlich [1][autonome Hongkong] seit 1997 wieder gehört, die Kommunistische Partei über den Gesetzen. Sie hat sie schwammig formuliert, um sie nach Gutdünken zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung der Herrschaft nutzen zu können. Nicht „rule of law“, sondern „rule by law“.
Mit der Einführung des sogenannten nationalen Sicherheitsgesetzes in Hongkong im Juli 2020 stülpte [2][Peking] sein Rechtsverständnis Hongkong über, um dort die Demokratiebewegung zu zerstören und ihre Anführer hinter Gitter zu bringen. Ein Indikator, wo sich Hongkongs Rechtsentwicklung jetzt befindet, zwischen Rechtsstaatstradition und Pekinger Willkürjustiz, liefert der Prozess gegen [3][47 Demokratieaktivist:innen,] die seit Montag vor Gericht stehen wegen „Verschwörung zum Umsturz“. Sie hatten eine inoffizielle Vorwahl von Kandidat:innen der Demokratiebewegung organisiert, um mit den populärsten erstmals die Sitzmehrheit im Legislativrat zu erringen. Dies hätte ihnen ermöglicht, den Haushalt zu blockieren und die von Peking eingesetzte Regierungschefin zum Rücktritt zu zwingen.
Diesen verfassungsgemäßen Weg hat Peking mit der Verschiebung der Wahlen wegen Corona ebenso ausgehebelt wie jetzt mit der Anklage. Die Demokratieaktivist:innen sollen mittels eines Pekinger Willkürgesetzes dafür bestraft werden, dass sie demokratisch ihren Einfluss vergrößern wollten. Zugleich will Peking künftig alle Abgeordneten zwingen, China Loyalität zu schwören. An wem es dabei Zweifel gibt, der/die verliert das Mandat oder wird erst gar nicht zur Wahl zugelassen. Künftig darf nur noch das Volk vertreten, wen Peking abgesegnet hat. China stellt sich so in Hongkong nicht nur über bisheriges Recht, sondern auch über das Volk: „rule by Peking“.
1 Mar 2021
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Hongkonger Aktivisten wurden für eine nicht genehmigte Demonstration zu Gefängnisstrafen verurteilt. Pekings Kontrolle über die Stadt nimmt weiter zu.
Beim Volkskongress in China sickern Details der geplanten Wahlreform für die frühere britische Kronkolonie durch. Die Staatsführung agiert paranoid.
Nach einem Marathonverfahren müssen alle 47 Angeklagten vorerst in Untersuchungshaft bleiben. Dabei geht es auch um inoffizielle Vorwahlen.
Neun prominenten Figuren wie Martin Lee und Jimmy Lai drohen bis zu fünf Jahre Haft. Viele von ihnen kämpfen seit Jahrzehnten für Demokratie in Hongkong.
Um eine Analyse der Protestbewegung in Hongkong bemühen sich zwei neue Bücher. Die Autoren kommen zu unterschiedlichen Bewertungen.
Das Coronavirus wütet in der Ex-Kolonie stärker denn je. Die pekinghörige Regierung könnte die Pandemie jetzt für ihre politische Agenda nutzen.