taz.de -- Polizeieinsatz gegen Coronaleugner: Kinder im Regen

Die Polizei erhält Lob für ihren Einsatz. Die Wasserwerfer blieben ohne Druck, weil unter den Demonstrant*innen Kinder waren. Stimmt das?
Bild: Wasserwerfereinsatz gegen Coronaleugner*innen

Berlin taz | Kurz nach 12 Uhr begann es am Mittwoch zwischen Brandenburger Tor und Reichstag zu regnen. Zwei [1][Wasserwerfer rückten auf die Menge der Coronaleugner*innen vor], um die zuvor aufgelöste Versammlung zu zerstreuen, aus der der Druck auf die Polizeikette immer größer wurde. Für die Berliner Polizei war der Einsatz eine Besonderheit. Über sieben Jahre ist es her, dass sie letztmalig ihre Wasserwerfer zum Einsatz brachten, bei Protesten gegen einen NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2013 in Schöneweide.

Fünf Wasserwerfer waren am Mittwoch über mehrere Stunden im Einsatz. Dass viele Demonstrant*innen dennoch nicht zurückwichen, ist einerseits auf ihre Radikalisierung zurückzuführen – ihre zum Wahn gesteigerte Vorstellung, das Infektionsschutzgesetz, das gleichzeitig im Bundestag verabschiedet wurde, schaffe die Grundrechte ab.

Anderseits blieb die Wirkung begrenzt, weil die Wasserwerfer keinen harten Strahl verspritzten, sondern einen Sprühregen über die Menge ergehen ließen. Polizeisprecher Thilo Cablitz begründete: „Den direkten Strahl können wir nicht einsetzen, weil sich darunter auch Kinder befinden.“

In sozialen Medien und Telegram-Gruppen dominierte die Kinder-Frage viele Diskussionen, die vor allem zwei Pole kannte: Die einen echauffierten sich über einen Einsatz gegen „friedlich demonstrierende Kinder und Rentner“ als weiteres Zeichen für einen zunehmend autoritären Staat. Die anderen warfen den Demonstrierenden unverantwortliches Handeln vor, indem sie Kinder überhaupt auf so eine Demo mitbringen, oder schrieben, Kinder seien als „Schutzschilde missbraucht“ worden. Linke wiesen darauf hin, dass die Polizei bei ihren Demos härter vorgehen würde.

Gut präparierte Demonstranten

Viele Beobachter*innen und Journalist*innen, die direkt von den Protesten berichteten, wunderten sich dagegen über den Hinweis auf Kinder. In den ersten Reihen befanden sich überwiegend Männer mittleren Alters, teilweise sogar mit Schutzbrillen und Regencapes ausgestattet. Zu ihnen gehörte ein kleines Who is Who der rechten Szene: vom Hallenser Neonazi Sven Liebich, der aufgepeitscht schrie: „Schießt doch die ersten Reihen tot“, über den Kameradschaftler und Ex-NPDler Thomas Wulff bis zum Brandenburger AfD-Abgeordneten Lars Günther.

Gegenüber der taz verteidigte Cablitz das Vorgehen. Zum Beginn des Einsatzes sei ein Kind von etwa zehn Jahren in den vorderen Reihen gewesen. Das schließe den Einsatz des harten Strahls aus, dessen Wirkung er als „immens“ beschreibt. Während die Polizei gegen aggressive Störer*innen in den ersten Reihen direkt vorgegangen sei, wurde eine weite Fläche beregnet. „Es gab Eltern, die haben sich einen Spaß daraus gemacht, dass alle nass waren“, so Cablitz.

Benjamin Jendro, Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei, sprach gegenüber der taz von einem „schwierigen Einsatz“, weil „Tausende gegen Regeln verstießen“. Den Einsatz der Wasserwerfer wertete er als „deutliches Zeichen, dass Polizei keine anderen Möglichkeiten mehr hatte“, nachdem sie mit Auflagen, Durchsagen und Ansprachen an Einzelne keine Erfolge erzielt habe.

Den gemäßigten Wasserwerfereinsatz begründete auch Jendro mit Kindern in der Menge. Es sei versucht worden, die Menschen zu zerstreuen, um „Störer besser selektieren“ zu können. Angesichts der Gefahr für Polizist*innen, sich in der Masse an Menschen ohne Mund-Nasen-Schutz anzustecken, wiederholte er seine Forderung nach einer befristeten Einschränkung der erlaubten Versammlungsgröße.

Koalition ist sich einig

Vonseiten der innenpolitischen Sprecher von Grünen und Linken gibt es – wie auch von Innensenator Geisel (SPD), der den Einsatz als notwendig bezeichnete – ebenfalls Lob für den Einsatz. „Gut gemacht“, lautet die Bilanz des grünen Benedikt Lux. Es sei richtig gewesen, konsequenter als bei den letzten Coronaleugner-Demos vorzugehen. „Die Polizei hat dabei aber sehr ruhig, besonnen und mit Augenmaß reagiert.“ Die Versammlung aufzulösen sei ein Knochenjob gewesen, so Lux.

Der Linke Niklas Schrader sah die Polizei dieses Mal ebenfalls deutlich besser vorbereitet. Beim Vorfahren der Wasserwerfer habe er zwar schlucken und an die Ereignisse am Schwarzen Donnerstag, dem Protest gegen den Bahnhofneubau Stuttgart 21, denken müssen, als ein Demonstrant durch den harten Strahl einen großen Teil seiner Sehkraft einbüßte. Aber: Was am Mittwoch aus den Düsen der Wasserwerfer kam, so Schrader, sei „Londoner Regen und kein Stuttgarter Strahl“ gewesen: „So gesehen war das Vorgehen in Ordnung.“

Insgesamt waren bei den Protesten 2.500 Polizist*innen im Einsatz, 365 Personen wurden in Gewahrsam genommen, so viele wie lange nicht. Bei zwei Personen wird wegen des Verdachts auf schweren Landfriedensbruchs Untersuchungshaft geprüft. Von 2.500 Polizist*innen seien 77 verletzt worden, drei davon wurden im Krankenhaus behandelt. Einer Polizistin sei gegen den Kopf getreten worden.

Bereits am Sonntag wollen rechtsoffene Coronaleugner*innen erneut auf die Straße gehen zu einem Schweigemarsch, der 12 Uhr an der Bornholmer Straße startet. Linke Gruppen haben [2][Gegenprotest angekündigt].

19 Nov 2020

LINKS

[1] /Proteste-gegen-Corona-Schutzmassnahmen/!5725575
[2] https://antifa-nordost.org/10836/laut-und-deutlich-gegen-den-rechten-schweigemarsch/

AUTOREN

Erik Peter
Plutonia Plarre

TAGS

Verschwörungsmythen und Corona
Polizei Berlin
Wasserwerfer
Coronaleugner
Polizei Berlin
Coronaleugner
Coronaleugner
Schwerpunkt AfD in Berlin
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
Lesestück Recherche und Reportage

ARTIKEL ZUM THEMA

Berliner Polizei an Silvester: Im Schatten von Corona

Der Jahreswechsel wird für die Polizei arbeitsreich: Die Querdenker haben eine Demo angemeldet. Berlins Innensenator denkt über Beschränkungen nach.

Berliner Polizei erfindet illegalen Club: Ab durch den Kühlschrank

Eine Polizeieinheit hebt einen vermeintlich illegalen Club aus und prahlt damit auf Facebook. Doch die Behauptung der Beamten stimmt nicht ganz.

Crash am Bundeskanzleramt in Berlin: Alles kein Zufall

Ein 54-Jähriger rammt mit seinem Auto den Zaun des Kanzleramts. Fotografen sind sofort zu Stelle. Das befeuert die Verschwörungsmythen.

Coronaleugner-Schweigemarsch in Berlin: Gestörte Opferinszenierung

Ein Schweigemarsch der Coronaleugner stößt in Prenzlauer Berg auf massiven Protest. Die Gegner fühlen sich für die Zukunft bestärkt.

Demo gegen Infektionsschutzgesetz: Wasserwerfer einkalkuliert

Die Proteste während der Demonstration zur Verabschiedung des Infektionsschutzgesetz waren keine spontane Reaktion. Sie waren einkalkuliert.

Debatte über Coronaprovokateure: Die große AfD-Opfershow

Union, SPD, FDP, Grüne und Linkspartei attackieren die AfD, weil sie Querdenker in den Bundestag schleuste. Die AfD sieht das aber ganz anders.

Coronaleugner im Bundestag: Eingeschleuste Provokateure

Die AfD verschafft Coronaverharmlosern Zugang zum Bundestag. Die bedrängen dort Abgeordnete. Jetzt gibt es ein Nachspiel.

Proteste gegen Corona-Schutzmaßnahmen: Eskalation mit Ansage

Im Bundestag polemisiert die AfD gegen ein Gesetz. Auf der Straße ist von „Ermächtigungungsgesetz“ die Rede. Die Polizei setzt Wasserwerfer ein.