taz.de -- Die Kunst der Woche: Das Bild geht unter
Noemi Molitor zu Anna K. E.s Tröpfchenproduktion bei Barbara Thumm und zeichnerischen Tagen für Kinder und Jugendliche in der Berlinischen Galerie.
Mit dem vertikalen LED-Turm konfrontiert zu sein, den [1][Anna K. E.] in ihrer Ausstellung “Dolorem Ipsum“ in der [2][Galerie Barbara Thumm] aufgerichtet hat und der dort hoch über den Köpfen thront, heißt, sich einem Spiel aus Schauen und Bildwerden auszusetzen. Denn während die Künstlerin zunächst schlicht mit einer farbbeklecksten Daunenweste ins Bild ragt und in die Kamera schaut, fängt das Gesehene mit der Zeit leicht an zu verschwimmen, löst sich hinter ihrem Gesicht ein Schatten heraus, fängt Anna K. E. an, in die Kamera zu spucken.
Ihre Speicheltropfen sind es also, die das Bild zum wackeln bringen, aber müssten diese dann nicht auf eine Wasseroberfläche fallen, deren Spannung ins Wanken gerät und die bei Aufprall Wellen schlägt? Es dauert einen Moment, doch dann geht alles ganz schnell. Die Zuschauer_in befindet sich nicht mehr in der Galerie vor einem digitalen Bildschirm, auch nicht hinter der Kamera, sondern selbst unter Wasser. Und Anna K. E. spuckt von oben hinab. Wie lange wir es im Wasserbecken unter der Oberfläche aushalten bis uns die Luft weg bleibt, wir wissen es nicht. Doch dann vergrößern sich die spitfalls bis die Tropfen komplett die Sicht nehmen und den ganzen Screen, in Wasserbläschen getaucht, einfach wegschwemmen.
Das Bild geht unter. Und ist doch geframed. Von Ballettstangen, in deren Holz Textfragmente gefräst sind, “Hands suspended“ heißt es da, die Hände schweben, vielleicht sind sie auch mitten in einer Bewegung erstarrt oder sie mimen die frei aufliegenden Balken an der Wand, die von Körperbeherrschung und Zurichtung sprechen, von Schweiß, von weiteren Tropfen. Dass die Künstlerin hier von “lyrischen Eruption“ spricht, das passt zu der Welt aus Mund und Spucke, die wir mit ihr betreten.
Auf K.E.s mixed-media Bildern auf Leinwand, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind, bewegt sich das wässrige Motiv in Innenräume, in Bäder, die mal öffentlich und mal privat wirken und in denen sie schließlich auf gelben Kacheln ein kleines Feuerchen entzündet hat. Im Fall der Spucke hat es sicher keine Chance.
Die Zeichen auf Zeichnen
Unweit der Galerie steht der Kiez dieses Wochenende im Zeichen des Zeichnens. Im Rahmen der Ausstellung „Gezeichnete Stadt. Arbeiten auf Papier 1945 bis heute“ lädt die Berlinische Galerie in Kooperation mit Jugend im Museum zum zweitägigen [3][“Festival zur zeichnerischen Eroberung der Stadt“] (teils Anmeldung erforderlich). In der BG, auf dem Vorplatz und in der Nachbarschaft finden Zeichenaktionen zum Mitmachen, Workshops und Spaziergänge statt, u. a. veranstaltet von [4][Jugendgremium Schattenmuseum], [5][Kotti-Shop]/[6][SuperFuture], [7][Kunstwerkstatt Kreuzberg der Lebenshilfe] und [8][Mpower e.V.].
In jedem Fall zu empfehlen: Die “Comic-Challenge“ in der [9][Jugendkunstschule FRI-XBERG] am Tempelhofer Ufer. Am Samstag und Sonntag zeichnen hier Kinder ab 6 Jahren mit dem Zeichner und Trickfilmer Stepan Ueding Stadtcomics, die anschließend in der BG präsentiert werden können (11–16 Uhr, offenes Angebot). Der Einstieg ist jeweils den ganzen Tag über möglich, ein Spaziergang-Special zum Ideen-Sammeln auf dem Weg dorthin startet außerdem an beiden Tagen um 13 Uhr von der BG aus.
An der FRI-XBERG Kunstschule geben übrigens viele Berliner Künstler_innen ihr Wissen an junge Erwachsene aus Kreuzberg und ganz Berlin weiter, von Kunstkino über Keramik bis hin zu Mappenklassen. So geht demokratische Kunstvermittlung.
2 Oct 2020
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