taz.de -- SPD-Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen: Flimmern in der Sozi-Herzkammer
Im NRW-Kommunalwahlkampf lässt Corona die Sozialdemokraten einsam zurück. Das Rathaus Dortmund dürften sie trotzdem erobern.
Dortmund taz | Verloren wirkt der Infostand, den die Dortmunder SPD knapp zwei Wochen vor der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen an der zentralen Reinoldikirche aufgebaut hat. In normalen Zeiten verwandeln die Genoss*innen die Fußgängerzone in der vom einstigen Bundestagsfraktionschef Herbert Wehner zur „Herzkammer der Sozialdemokratie“ geadelten, knapp 600.000 Einwohner*innen zählen Metropole im östlichen Ruhrgebiet in eine Wahlkampfmeile. Doch wo sonst Sozialverbände, Gewerkschaften und die Parteijugend in den Jusos mit Flyern, Stickern, Kugelschreibern und Bratwürsten werben, finden am Dienstag nur wenige Bürger*innen zur SPD.
Deren Oberbürgermeisterkandidat Thomas Westphal hat wie Journalist*innen auch Probleme, überhaupt mit Bürger*innen ins Gespräch zu kommen: „Nein danke“, sagen viele Angesprochene. Westphal hat daher Unterstützung mitgebracht.
Begleitet von der Kunstfigur „Storch Heinar“, die das unter Rechtsextremen beliebte Klamottenlabel Thor Steinar lächerlich macht, und von [1][Bundeschef Norbert Walter-Borjans] hängt er mit der NRW-Generalsekretärin Nadja Lüders Plakate in der Fußgängerzone auf. „Kreuze machen ohne Haken“ steht darauf. Ein Hinweis auf die SPD dagegen fehlt selbst in Dortmund, wo die Genoss*innen seit 1946 durchgehend das Stadtoberhaupt stellen.
Vor dem Pressetross, den der Bundesparteichef aus Berlin mitgebracht hat, beschwören Walter-Borjans, Westphal und die Dortmunderin Lüders den Mythos der SPD-„Herzkammer“ NRW dagegen immer wieder. Sozialdemokrat zu sein – das sei in Dortmund eine „Grundüberzeugung“, erklärt Westphal. Tatsächlich lebt fast jedes vierte der 425.000 SPD-Mitglieder in NRW. Trotz massiven Mitgliederschwunds zählt die Partei in Dortmund noch immer rund 6.000 Mitglieder – in ganz Mecklenburg-Vorpommern sind es gerade einmal 2.000.
Westphal kann sich deshalb Hoffnung machen. Der eloquente Ex-Juso-Bundeschef, der gern mit weißem T-Shirt unter dem Jackett, Jeans und Sneakern auftritt, setzt auf die Themen bezahlbares Wohnen, weniger Autos und bessere Schulen. In einer Umfrage von Mittwoch liegt der 53-Jährige trotz starker Konkurrenz weit vorn: Westphal käme bei der Oberbürgermeister-Direktwahl auf 32 Prozent. CDU-Kandidat Andreas Hollstein, bundesweit durch die Messerattacke eines Flüchtlingsgegners bekannt gewordener Bürgermeister von Altena, liegt bei 21 Prozent. Davor noch liegt die einstige grüne Landeschefin Daniela Schneckenburger mit 26 Prozent.
Im Vergleich zu SPD-Umfragewerten von 16 Prozent im Bund und 20 Prozent im Land ist das sensationell. Auszahlen könnte sich für Westphal sein bisheriger Job als Chef der Dortmunder Wirtschaftsförderung: Die Stadt hat den Strukturbruch, das Ende von Kohle und Stahl, und den Niedergang ihrer Brauereien, relativ gut gemeistert.
Wegen Corona liegt die Arbeitslosigkeit zwar bei 12 Prozent. Vor der Pandemie waren es dagegen weniger als 10 – auch weil um die Universität, auf einer alten Industriebrache, viele neue Dienstleistungsjobs etwa in der IT-Branche entstanden sind.
Hoffnung machen kann sich die Partei deshalb auch in Bund und Land. Die NRW-Kommunalwahl ist die letzte in Deutschland in diesem Jahr – und sollte die SPD, die in 14 der 23 NRW-Großstädte das Stadtoberhaupt stellt, massive Verluste einfahren oder gar die „Herzkammer“ Dortmund verlieren, stünden nicht nur Walter-Borjans, seine Co-Vorsitzende Saskia Esken und [2][Kanzlerkandidat Olaf Scholz] blamiert da. Auch in NRW dürfte der Machtkampf zwischen Landeschef Sebastian Hartmann und dem Landtagsfraktionsvorsitzenden Thomas Kutschaty neu aufflammen.
Dazu kommen muss es aber nicht: „Die alten Netzwerke werden auch bei dieser Wahl funktionieren“, sagt vor der Reinoldikirche eine 65 Jahre alte ehemalige Lehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung sehen will, aber als eine von wenigen gesprächsbereit ist. Sie selbst, sagt sie, fände zwar „frischen Wind ganz gut“ – doch dass die als links geltenden Dortmunder Grünen bei einer Stichwahl Werbung gegen Westphal und für den CDU-Mann Hollstein machen könnten, hält kaum jemand für denkbar.
2 Sep 2020
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Nordrhein-Westfalens SPD-Vorsitzender Sebastian Hartmann gibt auf. Nachfolger wird Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty.
Aachen, Bonn und Wuppertal bekommen grüne BürgermeisterInnen. SPD verteidigt die Hochburg Dortmund knapp, CDU gewinnt in Düsseldorf.
Die Linkspartei in NRW sucht nach dem Desaster bei den Kommunalwahlen nach Halt. Die neu gewählte Parteispitze will den internen Zoff beenden.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zieht im Wahlkampf durch sein Bundesland. Eigentlich ein Heimspiel – wäre da nicht der Corona-Streit.
Die parteilose Henriette Reker regiert seit fünf Jahren in Köln. Bei der kommenden Wahl wird sie von CDU und Grünen unterstützt. Sie hat gute Chancen.
2021 wird Thomas Oppermann nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Was er am liebsten geworden wäre, wurde er nicht.
Finanzminister Olaf Scholz hat gegen das SPD-Führungsduo verloren. Nun soll er Kanzler werden. Weil er Krisen bewältigen kann.
Jessica Rosenthal will den Kapitalismus überwinden, Vermögen besteuern und die Welt verändern. Und sie will neue Chefin der Jusos werden.