taz.de -- Anti-Corona-Demos in Berlin: Alles andere als harmlos

Haben Rechte die Coronaproteste gekapert? Nein: Protestierende, die sich zum Volk erklären, sind ebenso antidemokratisch gesinnt.
Bild: Coronaproteste sind problemlos anschlussfähig für Rechtsextremisten

Nazis denken nicht, sie seien Demokrat.innen. Das unterscheidet sie von denjenigen, die sich zwar im Nachhinein von ihnen verbal distanzieren, am Samstag aber keine Schwierigkeiten hatten, mit ihnen zusammen zu marschieren. Mit Regenbogenfahnen, Schweigeminuten für den inneren wie äußeren Frieden und Hare-Krishna-Gesängen bejubelten Zigtausende Menschen in Berlin bei den [1][Protesten gegen die Coronamaßnahmen] die Forderung des Veranstalters, die Verfassung in ihre Hände zu geben – im Namen der Demokratie.

[2][Rechtsextremisten und Reichsbürger], mehrheitlich waren es doch männliche Fahnenträger, haben ihre Propagandabilder bekommen. Sie kapern das Symbol der Demokratie. Das hielt zwar nur wenige Minuten lang an. Sie sind und bleiben aber eine existenzielle Gefahr für Menschen anderer Hautfarbe, mit anderen Gesichtszügen, anderen Lebensentwürfen oder auch mit anderer Gesinnung als sie selbst. Die Coronaproteste haben indes auch noch eine anders gelagerte Gefahr in buntesten Farben illustriert.

Die Rechten hätten [3][die Coronaproteste gekapert], wird allseits beklagt. Nein, das ist nicht wahr. Die Coronaproteste sind problemlos anschlussfähig für Rechtsextremisten von der AfD über Identitäre bis zu am Samstag fröhlich flanierende schlagbereite Neonazi-Gruppen, weil sie zutiefst antidemokratisch sind. Wer den Begriff Demokratie im Mund führt und meint, die Protestierenden, seien es auch mehrere Zehntausend Menschen, könnten zur, „Verfassunggebenden Versammlung“ ausgerufen werden, erklärt sich selbst zum Volk. Hier deckt sich der Anspruch mit dem der extremen Rechten, die mit ebendieser Verführung auftreten. Wer die Regierung mit diesem Anspruch zum Abdanken auffordert, akzeptiert nicht, dass moderne Demokratien auf Wahlen beruhen.

Es gibt sicher viele gute Gründe, gegen die Coronaschutzmaßnahmen zu protestieren. Nicht jede.r muss diese teilen. Mit der Ausrichtung der Proteste vom Samstag wird jedoch antidemokratisches Denken gesellschaftsfähig gemacht.

31 Aug 2020

LINKS

[1] /Politologe-ueber-Demo-von-Coronaleugnern/!5706393
[2] /Protest-gegen-Coronamassnahmen-in-Berlin/!5710608
[3] /Reaktionen-auf-die-Corona-Proteste/!5710612

AUTOREN

Barbara Junge

TAGS

Polizei Berlin
Schwerpunkt Coronavirus
Rechtsextremismus
Verschwörungsmythen und Corona
Verschwörungsmythen und Corona
Polizei Berlin
Rechtsextremismus
Polizei Berlin

ARTIKEL ZUM THEMA

Sozialpsychologe über politische Konflikte: „Die Gefahr wurde unterschätzt“

Spinner, Rechtsextreme, Populisten – das neue Normal? Der Konfliktforscher Andreas Zick spricht über neue unheilige Allianzen und Toleranzgrenzen.

Debatte nach Corona-Protest am Reichstag: Wo war die Polizei?

Vor dem Reichstag waren genug Beamte, sagt Berlins Polizeipräsidentin. Aber nicht mehr, als sie von zwei Seiten in die Zange genommen wurden.

Nach der rechten Demo in Berlin: Gegen die Fassungslosigkeit

Der Angriff auf den Bundestag entlarvt auch die Linke. Sie muss raus aus der Wohlfühlzone, in der sie sich als die einzige Stimme der Vernunft wähnt.

Corona-Proteste am Reichstagsgebäude: Den Schlagstock im Gürtel lassen

Der Ruf nach hartem Durchgreifen der Polizei gegen die Coronaleugner ist nachvollziehbar. Eine adäquate Antwort von links ist es nicht. Im Gegenteil.