taz.de -- Wahl in Hongkong verschoben: Erst 2021 an die Urne

Die für den 6. September angesetzte Abstimmung wird um ein Jahr verschoben. Zur Begründung bemüht die Regierung steigende Coronazahlen.
Bild: Der Aktivist Joshua Wong registrierte sich am 20. Juli für die Wahl im September

Peking taz | Worüber lokale Medien unter Berufung auf anonyme Quellen bereits seit Tagen spekulierten, ist nun eingetreten: [1][Hongkongs Regierung] hat die für 6. September anberaumten Parlamentswahlen um ein ganzes Jahr verschoben. Die Entscheidung begründet sie mit den steigenden Coronaviruszahlen.

Am Freitagnachmittag trat Regierungschefin Carrie Lam vor die örtliche Presse, um die Maßnahme zu begründen: Nach zehn Tagen mit Infektionszahlen im dreistelligen Bereich sei das Risiko zu groß, dass sich der Virusausbruch durch die Wahl weiter verschärfen würde.

Zudem steckten noch immer viele der 4,4 Millionen Wahlberechtigten hinter der geschlossenen Grenze zu Festlandchina oder im Ausland fest. Ihre Teilnahme an der Wahl könne nicht gesichert werden. Und dann sagte Lam während der Pressekonferenz noch einen entscheidenden Satz: Ihre Entscheidung werde von Peking „unterstützt“.

Für die China-kritische Opposition zeigt sich ein anderes Bild: Die Pekinger Staatsführung setzt erneut ihren totalitären Machtanspruch gegen die Sonderverwaltungszone durch. Die Parlamentswahl ist die wichtigste – und möglicherweise letzte – Möglichkeit des pro-demokratischen Lagers, Opposition auf legalem Wege auszudrücken. Sollte die Protestbewegung eine Mehrheit der Sitze gewinnen, könnte sie beispielsweise Regierungsprogramme blockieren.

Ein Erdrutschsieg

Das Wahlsystem Hongkongs, das einen Teil der Sitze traditionell pekingfreundlichen Berufsverbänden zuweist, bevorzugt zwar das Establishment. Dennoch scheint eine Mehrheit für die Opposition durchaus möglich, schließlich hatte sie noch im vergangenen November bei den politisch unbedeutenden Kommunalwahlen einen Erdrutschsieg erzielt.

Für die Zivilgesellschaft ist die Wahlverschiebung ein weiterer Schlag: Am 1. Juli hat Peking der Finanzmetropole ein drakonisches Sicherheitsgesetz aufgezwungen, welches nicht nur Angst und Schrecken innerhalb der Zivilgesellschaft ausgelöst hat, sondern auch für eine erste Verhaftungswelle sorgte.

Gleichzeitig wurde ein führender Kopf der Demokratiebewegung von seiner Universität relegiert, wurden Lehrer an Schulen eingeschüchtert und mindestens [2][ein Dutzend Kandidaten für die Parlamentswahlen disqualifiziert].

Die schärfste Kritik aufgrund der Wahlverschiebung dürfte vor allem aus dem englischsprachigen Raum kommen. Sowohl die Regierungen der Vereinigten Staaten als auch Australiens und Großbritanniens haben in der Vergangenheit wiederholt angekündigt, den Verlauf der Wahlen in Hongkong mit Argusaugen zu verfolgen.

Dritte Welle

Tatsächlich befindet sich Hongkong derzeit in seiner dritten – und bislang schwersten – Corona-Welle. Aus europäischer Sicht sind die Daten nur mäßig alarmierend: Hongkongs tägliche Infektionszahlen sind in etwa vergleichbar mit denen von Österreich. Beide Länder haben zudem ungefähr 1.500 aktive Fälle.

Allerdings leben die siebeneinhalb Millionen Hongkonger auf einem Achtzigstel der Fläche, verglichen mit den 8,8 Millionen Österreichern. Zudem kann sich das Virus in der Finanzmetropole aufgrund beengter Behausungen und voller U-Bahnen ungleich rascher ausbreiten.

Aus [3][epidemiologischer Sicht ist die Verschiebung der Parlamentswahlen dennoch unbegründet.] Sowohl [4][in Südkorea] als auch in der Mongolei und in Singapur wurden jüngst trotz Corona erfolgreich Wahlen abgehalten. Abstandsregeln, aufgeteilte Wahlzeiten für verschiedene Bevölkerungsgruppen und Desinfektionssprays haben sich als risikomindernde Maßnahmen in der Praxis bewährt.

Auch das prodemokratische Lager Hongkongs hatte erst vor kurzem demonstriert, dass Urnengänge auch ohne Gesundheitsrisiko möglich sind: Über 600.000 Hongkonger haben unter strengen Auflagen über die populärsten Kandidaten abgestimmt, der Großteil votierte online. Peking war jedoch auch diese inoffizielle Vorwahl ein Dorn im Auge. Die chinesische Staatsführung hat sie für unrechtmäßig erklärt und Vergeltung angedroht.

31 Jul 2020

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AUTOREN

Fabian Kretschmer

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