taz.de -- taz-Sommerserie „Sommer vorm Balkon“: Ruhe sanft vom Lärm der Stadt
Berlins Friedhöfe sind grün und einsam. Im achten Teil der taz-Sommerserie stellt unsere Autorin eine Auswahl ihrer liebsten (Aus-)Ruhestätten vor.
Berlin taz | Für mich besitzt ein Friedhof alle Vorzüge eines schönen Parks – hohe alte Bäume, blühende Blumen, zwitschernde Vögel und frische Luft – bei gleichzeitiger Abwesenheit seiner Nachteile. Dicht an dicht gedrängte Picknickdecken mit dröhnenden Bluetooth-Boxen, Grills mit rauchendem Aas und [1][grölende, müllproduzierende Partyhorden] sucht man hier vergeblich. Auch ist es höchst unwahrscheinlich, dass man auf einem Friedhof Kronkorken in den Po, Hundekot zwischen die Zehen, Spritzen in den Fuß oder Bälle an den Kopf bekommt.
Das Wandeln zwischen Gräbern lädt zum Sinnieren über das Leben und Ableben ein, es stimmt herrlich melancholisch, erfüllt mit friedvoller Ruhe und diesem besonderen Ehrfurchtsgefühl, das sich für gewöhnlich einstellt, wenn sich der Mensch mit seiner Endlichkeit beschäftigt. Besser erden geht nicht!
Es gibt saubere Toiletten, tadellose Bänke und Gratis-Lektionen in Geschichte. Ja, der einzige Nachteil, der mir zu Friedhöfen einfällt, sind ihre beschränkten Öffnungszeiten.
Hier ist eine kleine Auswahl meiner Favoriten.
Friedhof Baumschulenweg: Wilder Wein und Stahlbeton
Der Friedhof Baumschulenweg an der Kiefholzstraße in Treptow teilt sich in einen alten und neuen Teil. Den alten betritt man durch das mit wildem Wein üppig umrankte Tor des Verwaltungsgebäudes. Dahinter wähnt man sich vor dem Kanzleramt, tatsächlich handelt es sich hier um das von denselben Architekten Axel Schulte und Charlotte Frank entworfene neue Krematorium. Die riesige Säulenhalle wird für Konzerte genutzt, auch kann hier bei Trauerfeiern getanzt werden.
Wem das opulente Gebäude aus Stahlbeton genauso wenig gefällt wie mir, der geht weiter zu den schönen alten Grabmälern auf der linken Seite des Krematoriums. In diesem Bereich ist auch der Ehrenhain für 1.195 Opfer des Nationalsozialismus zu finden. Der von Fritz Cremer stammende Gedenkstein (auf der Rückseite Verse von Walter Dehmel) steht ganz schön trostlos da, ein paar Blumen täten gut.
Im neuen Teil auf der anderen Seite der Kiefholzstraße stößt man zuerst auf den Gedenkstein, der an die Grenzopfer erinnert, die hier vom SED-Regime heimlich eingeäschert wurden. Der unscheinbare Stein vermag den Schmerz der Familien, die über Jahre vergebens um ihre verschwundenen Angehörigen bangten, wohl kaum zu vermitteln. Wesentlich eindrucksvoller ist das Mahnmal für antifaschistische Widerstandskämpfer und Kämpfer für den Aufbau des Sozialismus von Gerhard Thieme. Entschieden recken die Bronzefiguren ihre Fäuste in die Luft. Weiter hinten wird an die hier vergrabenen italienischen und polnischen Zwangsarbeiter erinnert.
Ansonsten beschatten ausladende Linden, Lärchen, Rotbuchen und andere Prachtbäume ziemlich gewöhnliche, dafür jedoch höchst gepflegte Grabstätten an ebenso akkuraten Wegen. Darum hoch stehende Wiesen, die zwar noch keine Toten beherbergen, dafür aber lebenden Gästen schon eine gute Ruhestätte bieten. Unter einer Eiche steht eine verlassene Bank. Bis auf ein Eichhörnchen kommt niemand vorbei. Hier lässt es sich bestens aushalten.
Jüdischer Friedhof Weißensee: Wild verwunschen
Je tiefer man in den Friedhof vordringt, desto wilder und verwunschener wird es. Pingelig geharkte Wege und von Unkraut befreite Beete sucht man hier vergeblich, woanders hätte die Friedhofsverwaltung schon strenge Mitteilungen an die Grabmäler geklebt, damit Steine gerade gerückt und befestigt werden. Hier jedoch dürfen Zeit, Witterung und Natur ungestört ihr Werk vollziehen – das Ergebnis ist atemberaubend schön.
Dicht an dicht stehen über hundert Jahre alte Bäume, Efeu und wilder Wein überwuchern alles, was ihnen in die Quere kommt, Wurzeln heben Steine aus dem Boden. Nur mühsam bahnt sich die Sonne durch das dichte Laub. Der starke Duft der blühenden Linden betäubt. Blumen sind hier eher selten, gemäß jüdischem Brauch hinterlässt man hier den Toten Steine, die währen ewig. Auf etlichen Grabsteinen wird verschwundener und im KZ ermordeter Angehöriger gedacht. An der alten Friedhofsmauer finden sich monumentale Familiengruften – in einigen haben sich jüdische Verfolgte vor den Nazis versteckt.
Ein Ehrenfeld für 12.000 gefallene Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg erinnert daran, dass unter den Deutschen, die damals ins Feld zogen, viele jüdischen Glaubens waren. Am Eingang befindet sich der Gedenkstein für die Opfer der Shoa. Rechts hinter dem Gebäude am Eingangsbereich ist außerdem der Grabstein des Widerstandskämpfers Herbert Baum zu finden. Auf der Rückseite wird auch der anderen hingerichteten Mitglieder der Baum-Gruppe gedacht. Ebenfalls hinter dem Eingangsgebäude befinden sich die Gräber der SchriftstellerInnen Stefan Heym und Angelika Schrobsdorff.
Für diesen besonderen Ort sollte man Zeit mitbringen sowie gutes Schuhwerk – es handelt sich hier nämlich um den größten aktiven [2][jüdischen Friedhof Europas].
Grunewald: Warnung vor Wildschweinen
Ist es in der Stadt schwül und heiß, lohnt ein Ausflug auf den so genannten „Selbstmörderfriedhof“ im Grunewald. Er wurde für Tote angelegt, die man im Wald fand, außerdem heißt es, dass an einer Stelle der unweit gelegenen Havel immer wieder Leichen angeschwemmt wurden, von denen man ebenfalls im Verdacht hatte, dass sie sich das Leben genommen hatten. Und da der Freitod im alten Preußen verboten war und Selbstmörder auf den christlichen Friedhöfen lange Zeit nicht willkommen waren, wurden sie eben hier bestattet, quasi an Ort und Stelle ihres Ablebens.
Etwas gruselig ist es hier: Weit und breit ist kein Mensch in Sicht, am knarrenden Holztor [3][warnt ein Schild vor Wildschweinen], innen hängen dicke Spinnweben und auch bei den meisten Grabmälern scheint es, als hätten sie lange keinen Besuch bekommen. Einzige Ausnahme: die Grab-, oder besser: Pilgerstätte von Nico. Der legendären Schauspielerin und (Punk-)Sängerin wurden Sonnenbrillen, gerahmte Bilder, ein Windspiel, Blumen und Ohrschmuck ans Grab gebracht. Was sie wohl mit der angelaufenen Schokowaffel anfangen soll?! Ich bin mir sicher: ein Joint wäre der 1988 auf Ibizia Verstorbenen lieber gewesen.
Stahnsdorf: Kunst und Künstler
Berlin platzt aus allen Nähten, und das nicht nur, was die lebenden, sondern auch was die toten Bewohner*innen betrifft. Und weil dies auch schon vor über hundert Jahren der Fall war, wurde vor den Toren der Stadt ein großer Friedhof angelegt, den sich gleich mehrere Kirchengemeinden teilen sollten. Der Weg hierher – früher mit einer eigenen Friedhofsbahn, heute per Bus – lohnt sich. Und das nicht nur wegen der nach norwegischem Vorbild gezimmerten Holzkapelle, die mit ihren kunstvoll geschnitzten und bemalten Dekorationen imponiert.
In weiten Teilen gleicht der Friedhof einem Märchenwald, neben alten, teilweise völlig eingewachsenen Grabmälern zeugen kleine Tafeln von Baumbestattungen. Prächtige Familiengruften und prunkhafte Mausoleen können es locker mit ihren Verwandten auf dem Pariser Père Lachaise und dem römischen Verano aufnehmen. Darunter sind einige außergewöhnliche Grabstätten wie etwa das von Bruno Taut im expressionistischen Stil gestaltete Wissinger-Grab.
Auch bei kleineren Grabstätten sind Kunstwerke zu bewundern – bis heute ist der Friedhof unter Künstler*innen sehr beliebt. Filmfreaks können Friedrich Murnau einen Besuch abstatten, eingefleischte Berliner stiefeln beim ollen Zille vorbei. Wer die ganze lange Liste an namhaften Persönlichkeiten abklappern will, der nehme sich meinen Rat zu Herzen und an einer Führung teil. Ich habe mich hier schrecklich verfranst.
Matthäus-Kirchhof Schöneberg: Ende und Anfang
Dieser Friedhof in der Nähe des S-Bahnhofs Yorckstraße gehört zu meinen absoluten Lieblingsorten. Und das nicht nur, weil man in dieser Oase auf der Schöneberger „Roten Insel“ Lärm und Trubel der Stadt völlig hinter sich lässt, sondern weil man hier ausdrücklich zum Verweilen eingeladen wird, und zwar in Deutschlands erstem Friedhofslokal, dem „Café Finovo“ – was so viel wie Ende und Neubeginn bedeutet.
Wirt Bernd Boßmann, besser bekannt als Ichgola Androgyn, engagiert sich mit seinen Mitstreiter*innen vom Efeu e.V. für die Erhaltung der historischen Grabstätten. Aus einer wurde ein Gemeinschaftsgrab für an Aids Verstorbene gemacht, das auch als Denkmal dient. Bei einem „schwulen Rundgang“ kommt man unter anderem an den Gräbern von Rio Reiser und der Drag-Legende Ovo Maltine vorbei. Natürlich sind hier auch Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen begraben, so zum Beispiel die Künstlerin Helga Goetze, die jahrelang mit einem Schild mit der Aufschrift „Ficken ist Frieden“ vor der Gedächtniskirche stand.
Auch der [4][Garten der Sternenkinder] ist dem Engagement des Vereins zu verdanken: An diesem bunten und erstaunlich fröhlichen Ort können still- und fehlgeborene Kinder begraben werden. Eine Bank, eigens für kleine BesucherInnen gezimmert, steht dort übrigens auch.
17 Aug 2020
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