taz.de -- Medienreaktionen auf Seehofer: „Finger weg von der Pressefreiheit“
Die mögliche Strafanzeige von Innenminister Horst Seehofer gegen taz-Kolumnist:in Hengameh Yaghoobifarah wird in Medien scharf kritisiert.
taz | Berlin Die Ankündigung von Innenminister Horst Seehofer (CSU) Strafanzeige gegen taz-Kolumnist:in Hengameh Yaghoobifarah stellen zu wollen, stößt in der deutschen Medienlandschaft auf scharfe Kritik. Welchen Gesetzesverstoß er Yaghoobifarah genau vorwirft und ob es wirklich zu einer Anzeige kommt, stand bis am Nachmittag noch nicht fest. Doch schon jetzt wird sein Vorhaben als ein Angriff auf die Pressefreiheit verstanden.
Anlass für Seehofers Vorhaben ist eine [1][polizeikritische und satirische Kolumne], die vergangene Woche in der taz erschienen war. Seitdem wird [2][intern in der taz], aber auch in anderen Medien über die Kolumne diskutiert. Für Seehofer scheint die Lage eindeutiger. Er sagte [3][der Bild-Zeitung] und nicht in einem öffentlichen Statement: „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben.“
Einen Zusammenhang zwischen den gewaltvollen Vorkommnissen in Stuttgart und der taz-Kolumne herstellen zu wollen, leuchtet Constanze von Bullion nicht ein. [4][Sie schreibt in der Süddeutschen Zeitung]: „Mal abgesehen davon, dass kaum einer der Stuttgarter Besuffskis vor dem Randalieren die Zeitung gelesen haben dürfte: Seehofers angekündigte Klage wäre ein schwerwiegender Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit. Im Ernstfall kann und wird sie nicht hingenommen werden.“
Auch Sabine Rennefanz, Leiterin des Gesellschaftsressorts der Berliner Zeitung, findet die mögliche Strafanzeige übertrieben: „Damit driftet eine Debatte, die über Rassismus in der Polizei begonnen hat, die Missstände thematisierte, in eine falsche Richtung ab.“ Und weiter: „Wenn der taz-Text ein Nadelstich war, dann ist Seehofers Reaktion ein Presslufthammer.“ Und auch Ulf Poschardt, Chef der Welt, sieht eine Anzeige von Seehofer als „unverhältnismäßig“, auch wenn er es sich nicht verkneifen kann, die Kolumne als „drittklassigen Quark“ zu bezeichnen.
Imre Grimm vom Redaktionsnetzwerk Deutschland diagnostiziert Seehofer ein „Missverständnis von Pressefreiheit“, und [5][auch für Stefan Kuzmany vom Spiegel] ist die Angelegenheit klar: „Er [Seehofer] mag sich gerne beim Schafkopfen aufregen und dann einen geharnischten Leserbrief schreiben – aber nicht als Amtsperson eine AutorIn einschüchtern.“
Kritik ja, Anzeige nein. Ein Weg, den auch Journalistenverbände fordern. Tina Groll, Bundesvorsitzende der DJU von Verdi, sagt: „Seehofer [hat] andere Möglichkeiten der politischen Auseinandersetzung als das Schwingen der juristischen Keule.“ Kritik kommt auch vom Deutschen Journalisten-Verband, dem European Centre for Press and Media Freedom sowie dem Netzwerk Recherche. [6][Die Neuen Deutschen Medienmacher:innen] gehen mit dem Heimatminister noch härter ins Gericht, sie verlangen nicht nur „Finger weg von der Pressefreiheit“, sondern sehen in seinem Vorhaben ein Symbol für sein „Desinteresse am Thema Rassismus“. Sie fordern von allen Journalist:innen, sich hinter alle bedrohten Journalist:innen zu stellen, Diskriminierungserfahrung ernst zu nehmen und weiter zu strukturellem Rassismus bei der Polizei zu recherchieren.
22 Jun 2020
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