taz.de -- Bald wieder Autokinos in der Hauptstadt: Neukölln ist überall
Autokinos als pandemieresiliente Locations. Warum auch nicht: Ohne Clubs und Bars wird Berlin sowieso immer mehr zur Provinz.
Berlin taz | Helge Schneider wird schon mal nicht auftreten in einem der neuen Autokinos, die bald in Berlin eröffnet werden sollen. Vor Autos werde er jedenfalls nicht performen, gab der Musiker in einem vor Kurzem kursierenden, viel gesehenen Facebook-Video bekannt. Wenn coronabedingt Live-Auftritte nur noch so möglich seien, dass man seinen Applaus per Lichthupe bekomme, lasse er es lieber ganz und gehe in Rente.
Andere scheinen weit weniger Probleme damit zu haben, vor Blechlawinen ihre Kunst zum Besten zu geben. Sido, Heino, ganze Sinfonieorchester haben jüngst so Konzerte vor Publikum gegeben, weil diese gerade in anderer Weise nicht stattfinden dürfen.
Wegen des Virus erlebt das Autokino gerade ein unerwartetes Revival. Weniger bei Nostalgikern, sondern bei der Generation Netflix, die mal wieder etwas anderes erleben möchte als eine Serie daheim auf der Couch. Vor Corona gab es in Deutschland gerade noch ein Dutzend dieser Drive-ins, jetzt werden überall in der Republik neue Pop-up-Autokinos errichtet, in denen man nicht bloß Filme, sondern auf der Bühne auch Comedians erleben und sogar Gottesdienste feiern kann.
In Berlin ist aktuell eine derartige Darbietungsform gar nicht möglich. Eines der letzten Berliner Autokinos, das „Bärliner Autokino“, hat seinen Standort beim Zentralen Festplatz in Reinickendorf ein paar Monate vor Corona im letzten Jahr aufgegeben. Das „Autokino Berlin“ soll in der Nähe des Flughafens Schönefeld erst demnächst wiedereröffnen. Das Programm solle bald bekannt gegeben werden, versprochen werden auf der Homepage „Kino, Kultur, Events, Konzerte“.
Die meisten Pläne sind noch vage
Doch jetzt sollen gleich an mehreren Standorten noch weitere Autokinos in Berlin errichtet werden. Noch sind die meisten Pläne allerdings vage. Von den Bezirken Pankow und Charlottenburg-Willmersdorf ist bekannt, dass Anträge bei der Bundesnetzagentur eingegangen sind mit der Bitte zur Erteilung von Funkfrequenzen. Diese sind nötig, damit die Tonsignale der Filme störungsfrei in die Autoradios übertragen werden können. Außerdem bemüht sich der Bezirk Spandau um ein Autokino.
Am konkretesten aber sind bislang die Ideen der Berliner Street-Art-Künstlergruppe Die Dixons, die auf dem derzeit verwaisten Parkplatz des Hotels Estrel in Neukölln ihr Autokino eröffnen wollen – möglichst bereits ab Anfang Juni. Der passende Name für das Projekt: „The Parkplatz“.
Gezeigt werden soll dort täglich ein buntes Angebot aus Kinofilmen, Fußball-Live-Übertragungen, Serien – und Konzerte wird es auch geben. 600 Parkplätze stehen dem Publikum zur Verfügung. Alles wird unter strikter Einhaltung der Corona-Regeln stattfinden: Es gilt ein Mindestabstand von 1,50 Metern zwischen den Fahrzeugen, Fenster oder gar Schiebedächer müssen während der Vorstellungen geschlossen bleiben.
Jetzt extra ein Auto anschaffen?
Die Renaissance des Autokinos passt gut zu einigen der Folgen, die die Coronakrise mit sich gebracht hat. Homeoffice und geschlossene Kitas weisen vor allem den Frauen wieder die klassische Rolle von Müttern am Herd zu. An Zustände wie in den fünfziger Jahren fühlen sich da manche erinnert, also an die Zeit, in der die Autokinos in den USA den größten Boom erlebten, bevor sie dann in den Sechzigern und Siebzigern auch in der Bundesrepublik einigermaßen populär wurden.
Die Pandemie relativiert außerdem die Attraktivität der Großstadt. Plötzlich scheint es egal zu sein, ob man in Berlin oder irgendeiner Kleinstadt lebt: Angesichts geschlossener Bars und Clubs ist ja überall gleich wenig los. Und Orte wie Aschheim oder Gravenbruch, zwei der wenigen, in denen es vor Corona überhaupt noch Autokinos gab, wirken gar plötzlich wie Zentren der Avantgarde gegenüber der Hauptstadt, die die Errungenschaften der Provinz jetzt erst kopiert.
Und nicht zuletzt lebt man ja eigentlich auch deshalb so gern in der Großstadt, weil es sich hier so schön auf das Auto, ohne das man nun mal nicht ins Autokino kommt, verzichten lässt. Sollte man sich nun also für ein wenig kulturelle Teilhabe, um mal wieder einen Film auf der großen Leinwand sehen oder ein Konzert erleben zu können, jetzt extra ein Auto anschaffen müssen?
Vielleicht hat Helge Schneider ja recht: Lieber die Krise aussitzen und warten, bis ein wenig Spaß haben auch wieder ohne das Auto möglich ist.
23 May 2020
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Berlin will seine Partys zurück: Die Clubs fordern ein Ende des Tanzverbots. Zumindest auf Freiflächen könnten bald auch wieder DJs auflegen.
Bezirke ermuntern Kulturschaffende aus allen Sparten, ihre Frei- und Grünflächen, Straßen und Plätze zu nutzen.
In Coronazeiten sei Streaming für die Filmbranche keine Lösung, sagt der Chef des Verbands AG Kino. Viele seien „erschlagen“ vom Online-Angebot.
Nicht einmal Freiluftkinos dürfen in Coronazeiten öffnen: In Berlin fehlt ein Konzept für pandemieresiliente Kulturangebote.
Das Konzept steht, Umbauten sind fertig: Dennoch gibt es keine Signale, wann die Freiluftkinos in Berlin starten können, sagt Betreiber Arne Höhne.
Die Behörden stehen der Eröffnung von Autokinos nicht überall gleich wohlwollend gegenüber. Eine große Hürde sind die sanitären Anlagen.
Trotz Corona-Lockdown dürfen Autokinos ihren Betrieb fortführen. Den alten geht es seither prächtig, neue werden gegründet.