taz.de -- Neue Radwege durch Coronakrise: Impuls aus Bogotá

Die Corona-Pandemie zeigt in vielen Städten: Wo ein Wille ist, ist auch schnell ein Radweg. Egal ob in Berlin, Bogotá oder Budapest.
Bild: Bogotá setzt auf RadlerInnen, damit sie sich nicht in öffentliche Verkehrsmittel quetschen müssen

Berlin taz | Am Halleschen Ufer in [1][Berlin-Kreuzberg] ist ein Teil der Straße mit gelben Streifen abgetrennt, darauf stehen rot-weiße Barken. Der grüne Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar radelt entspannt die breite Spur entlang, die es erst seit Kurzem gibt. Überholende RadlerInnen können den Corona-Sicherheitsabstand von 1,5 Metern gut einhalten. Die Straße ist stark befahren. Ohne die neue Spur wäre es für RadlerInnen hier unangenehm – oder sie müssten auf den Fußweg ausweichen. „Es wird spannend, ob das Erreichte bestehen bleibt“, sagt Radverkehrsexperte Gelbhaar.

Ob Berlin, Bogotá oder Budapest – in vielen Städten werden derzeit vorübergehende Radspuren eingerichtet, sogenannte Pop-up-Bike-Lanes. Denn im Moment fahren viel mehr Leute mit dem Rad. Die Coronakrise zeigt: Wo ein Wille ist, ist auch schnell ein Radweg.

Der Begriff „Pop-up-Bike-Lanes“ kommt aus Nordamerika. Dort experimentieren Städte wie New York schon seit Jahren mit temporären Radstreifen, weiß Burkhard Stork, Geschäftsführer des Fahrradverbands ADFC. „Es hat sich gezeigt, dass es das Sicherheitsempfinden steigert, wenn etwas zwischen Radstreifen und Autostraße steht“, sagt er.

Im kanadischen Vancouver wurde die Innenstadt während der Olympischen Spiele für den Autoverkehr gesperrt. Dann entstand ein gutes Radnetz. Vancouver könnte ein Vorbild sein, wie die Coronakrise die Radinfrastruktur verändert, sagt Stork. „Man sieht daran: Ein Ereignis und temporäre Maßnahmen bringen auf Dauer etwas.“

Initialzündung aus Kolumbien

Der Impuls für die jetzige weltweite Radwegewelle kam aus der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Dort waren die Straßen schon vorher sonntags gesperrt. In der Coronakrise hat Bogota das Sonntagsprogramm ausgedehnt und etliche temporäre Radstraßen ausgewiesen. „Das war die Initialzündung für viele Städte“, sagt Stork. In Budapest oder Mailand etwa entstehen neue Radwege. In Mexiko-Stadt, Minneapolis oder Calgary wurden Straßen für Autos gesperrt und für FußgängerInnen und RadfahrerInnen geöffnet.

In Deutschland gibt es neue Radspuren bislang vor allem in Berlin, wo die Verwaltung fahrradfreundlich ist. „Aus anderen deutschen Städten sind uns bisher keine Initiativen bekannt, die von der Verwaltung angestoßen wurden“, sagt Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe. „Vielmehr werden Bürgerinnen und Bürger selbst aktiv, wie in Stuttgart, Frankfurt oder Freiburg.“

In Stuttgart etwa haben BürgerInnen auf eigene Faust Pop-up-Radwege für einige Stunden aufgebaut. Die DUH hat [2][Anträge an 204 Stadtverwaltungen] geschickt und sie aufgefordert, Verkehrsflächen für Fahrräder umzuwidmen. Zum Beispiel in Köln, Frankfurt am Main oder Dresden würden sich die Behörden jetzt damit beschäftigten, weitere Kommunen haben angekündigt, das zu tun.

Nicht alle freuen sich über diese Entwicklung. „Aus unserer Sicht wäre dem Radverkehr mehr geholfen, wenn die Radverkehrsinfrastruktur nachhaltig verbessert und entlang der üblichen Planungsprozesse gestaltet würde“, sagt ein Sprecher des ADAC. Übereilte Maßnahmen könnten zu neuen Gefahren führen, weil sich RadlerInnen etwa vor abbiegenden Bussen in Acht nehmen müssen.

Der ADAC findet, temporäre Radspuren sollten mit der Coronakrise verschwinden. Der Abgeordnete Gelbhaar hofft das Gegenteil. In der Coronakrise sei die Wertschätzung fürs Rad gestiegen. „Das Fahrrad gilt als systemrelevant. Das ist neu“, sagt Gelbhaar. Diese Wertschätzung fällt auf fruchtbaren Boden, glaubt er. Denn immer mehr Menschen [3][engagieren sich für eine bessere Radinfrastruktur]. Sie bekommen jetzt Rückenwind.

2 May 2020

LINKS

[1] /Fahrradpolitik-in-Berlin/!5670935
[2] https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/deutsche-umwelthilfe-stellt-antraege-auf-fahrrad-strassen-in-203-staedten-mitmach-aktion-buerger-koenn/
[3] /Buergerinitiative-in-Nordrhein-Westfalen/!5596459

AUTOREN

Anja Krüger

TAGS

IG
Schwerpunkt Coronavirus
Fahrrad
Schwerpunkt Utopie nach Corona
Kolumne Stadtgespräch
Kolumne Stadtgespräch
Kolumne Stadtgespräch
Spielstraße
Kolumbien
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Radfahren in Berlin

ARTIKEL ZUM THEMA

Plattenklau in Kolumbiens Hauptstadt: Der plötzliche Sturz in die Tiefe

Immer wieder werden in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá wertvolle Aluminium-Gehwegplatten von Fußgängerbrücken gestohlen. Wer nicht aufpasst, fällt durch.

Fahrverbote in Kolumbiens Hauptstadt: Gegen den Verkehrskollaps

In Bogotá gibt es ein Fahrverbot. Mal für Autos mit geraden Kennzeichen, mal für die mit ungeraden. Jetzt wurde es ausgeweitet. Das gefällt nicht allen.

Corona-Impfungen in Kolumbien: Der Impfstoff auf Staatsbesuch

Nur 50.000 Impfdosen hat Kolumbien diese Woche erhalten. Präsident Ivan Duque aber inszeniert das wie zuletzt den Papst-Besuch.

Temporäre Spielstraßen in Berlin: Freie Fahrt für Dreiräder

Die temporären Spielstraßen könnten auch nach Corona bleiben. Drei Berliner Bezirke setzen so ein Zeichen gegen die Dominanz des Autos in der Stadt.

Corona in Kolumbiens Armenvierteln: Wenn die Bagger kommen

Mitten im Lockdown lässt die Stadtverwaltung von Bogotá Häuser in Armenvierteln abreißen. Die Bewohner*innen wissen nicht, wo sie hinsollen.

Corona als Chance für Berlin: Na also, es geht doch

Pop-up-Bike-Lanes, weniger Auto- und Flugverkehr, gelebte Solidarität: Corona zeigt, dass ein besseres Leben möglich ist. Das sollten wir beibehalten.

Neue temproräre Infrastruktur in Berlin: Radspuren mit Corona-Antrieb

Jetzt bekommt auch die Kantstraße eine Pop-up-Bikelane. Friedrichshain-Kreuzberg hat die Nase vorn, Pankow und Tempelhof-Schöneberg ziehen nach.

Temporäre Radinfrastruktur: Kritische RadlerInnen

Die neuen temporären Radspuren ernten bei manchen AktivistInnen in den sozialen Medien Kritik. Andere wollen mehr davon und rufen zum Protest auf.

Tödliche Radunfälle: Technik allein reicht nicht

Der stete Ruf nach dem Abbiegeassistenten verdeckt, dass es keine absolute Sicherheit im Verkehr gibt. Deshalb: bitte auch mehr Vorsicht!