taz.de -- Familie in Corona-Krise: Zeit für neue Familienmodelle

In Coronazeiten bröckelt auch das Ideal der Kleinfamilie. Für Vollzeitjob und Erziehung braucht es mehr als zwei.
Bild: Am Ende bleibt die Kinderbetreuung doch Sache der Frauen. Mutter und Tochter warten auf die Tram

Seit Beginn der Coronakrise rückt die Sorge umeinander endlich ganz neu in den Mittelpunkt: persönlich, medial und mehr oder weniger auch politisch. Corona bringt auf den Tisch, was so lange insbesondere aus einer linken feministischen Perspektive schon kritisiert wird: Sorgearbeit kann eben nicht „so nebenher“ und im Unsichtbaren stattfinden.

Kümmern bedeutet Arbeit. Außerdem ist [1][Elternschaft] eng verknüpft mit Erfahrungen von Isolation, Angst vor dem Scheitern, Leistungsdruck, Romantisierung und sehr viel Ambivalenz. Dass dies nicht individuelle, sondern kollektive Erfahrungen sind, lässt sich spätestens jetzt nicht mehr leugnen. Die verordnete Corona-Isolation stellt die Vorteile der Familienform „Patchwork“ ganz neu heraus. Mein Alltag fühlt sich durch das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft nämlich so isoliert gar nicht an.

Die Coronakrise ist auch eine Krise des Ideals der Kleinfamilie. Der [2][Lockdown eröffnet uns als Gesellschaft die Chance], neu darüber nachzudenken, wie wir eigentlich zusammenleben möchten. Er zeigt auf, dass ein oder zwei Menschen nicht ausreichen, um sich neben einem Vollzeitjob um Kinder und sich selbst kümmern zu können, ohne dabei verlorenzugehen.

Warum sollte in einer Gesellschaft, in der immer mehr [3][Ehen geschieden werden und Partnerschaften auseinandergehen], ausgerechnet das romantische Gerüst das Einzige sein, auf dem sich familiäres Zusammenleben aufbaut? Warum fällt es so schwer, in die Verbindlichkeit und Stabilität von familiären Formen außerhalb der heterosexuellen Kleinfamilie zu vertrauen? Co-Elternschaften, Wohngemeinschaften – es gibt so viele Möglichkeiten, Verantwortung für Kinder zu verteilen!

Um diese Formen zu erfinden, um die dafür nötigen radikalen neuen Bilder zu erdenken, braucht es auch die Bereitschaft, gelernte Vorstellungen von Familie nicht nur zu hinterfragen, sondern stellenweise auch neu zu entwerfen.

4 May 2020

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Schlender

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