taz.de -- Corona-Dämmerung für Neoliberalismus: Ende einer Theorie
Die Pandemie zeigt: Den Neoliberalismus kann man getrost beerdigen. Nur der Staat kann den Kapitalismus retten.
Die Coronakrise hat auch ihre Vorteile. Sie dürfte die [1][neoliberale Ideologie] beerdigen, die die westliche Welt seit 1980 dominiert hat. Zwei Spitzenpolitiker brachten einst plastisch auf den Punkt, wie platt Marktradikale denken. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher ließ wissen: „Es gibt keine Gesellschaft.“ In ihrem Weltbild existierten nur Individuen, die ausschließlich für sich selbst sorgen sollten.
Auch US-Präsident Ronald Reagan hinterließ einen Spruch, der das neoliberale Denken treffend zusammenfasst: „Die Regierung ist nicht die Lösung unseres Problems, die Regierung ist das Problem.“ Der Staat sollte schrumpfen, auf dass der freie Markt übernimmt. Also wurden die Rentenkassen privatisiert, die Finanzmärkte dereguliert, Staatsvermögen verkauft und die Steuern für die Reichen gesenkt. Auch in Deutschland wurden diese Konzepte kopiert.
Die Coronakrise zeigt nun, dass der „freie Markt“ eine Fiktion ist. Märkte können nur existieren, wenn der Staat sie stützt. Die Talfahrt des Aktienindex DAX ist ein Lehrstück: In knapp einem Monat fielen die deutschen Börsenkurse um fast 40 Prozent – noch nie war ein Absturz so dramatisch. Der Wertverlust wäre sogar noch drastischer ausgefallen, wenn der Staat nicht eingegriffen hätte
Der DAX hat sich nur deshalb auf niedrigem Niveau stabilisiert, weil die [2][Europäische Zentralbank (EZB)] Banken und Wirtschaft mit Milliarden Euro flutet und die deutsche Regierung flankierende Maßnahmen ergreift. Sie hat das Kurzarbeitergeld aufgestockt, wird die [3][Solo-Selbstständigen unterstützen] und sich an schlingernden Großkonzernen wie der Lufthansa beteiligen.
Die „Märkte“ versagen, weil sie nur funktionieren könnten, wenn sich die Zukunft verlässlich berechnen ließe. Aktienkurse preisen die Gewinne von morgen ein. Doch wie spätestens in Krisenzeiten auffällt, ist die Zukunft prinzipiell nicht planbar. Daher gibt es keine Alternative zur Solidarität. Also zum Staat.
Nur ein Beispiel: Private Altersvorsorge ist reiner Mumpitz. Riester- und Rürup-Renten wurden einst eingeführt, auf dass der Einzelne „individuell“ für sein Alter spare. Ganz staatsfern sollten diese Programme sein, was schon deshalb lachhaft war, weil der Staat Milliarden an Subventionen zahlte, damit die Renditen der Riester-Verträge überhaupt attraktiv aussahen. Wie die Coronakrise jetzt zeigt, hätten diese Aktiensparpläne sogar gänzlich an Wert verloren, wenn der Staat nicht „unbegrenzte“ Geldmengen in die Wirtschaft pumpen würde. Aktien haben ja keinen Wert „an sich“ – die Kurse sind nur leidlich stabil, wenn der Staat als Garant dahintersteht.
Die Erzählung vom unabhängigen Individuum hatte für viele ihren Reiz. Sie klang wie das Paradies: jeder Erdenbürger eine eigene Insel, auf der lästige Nachbarn nichts zu suchen haben. Doch die Wahrheit ist, dass man seinen Mitbürgern nicht entkommen kann. Den reinen „Markt“, von dem die Neoliberalen fabulieren, gibt es nicht. Der Kapitalismus funktioniert nur, wenn er von einem starken Staat unterstützt, gebändigt und gerettet wird.
Diese Lehre hätte man schon nach der Finanzkrise 2008 ziehen können, doch damals ist es den Neoliberalen noch einmal gelungen, ihre platte Theorie zu retten. In einer atemberaubenden Volte wurde einfach so getan, als hätten sich die Staaten hemmungslos verschuldet – obwohl in Wahrheit die Banken faule Kredite vergeben hatten. Erst als die Institute gerettet werden mussten, landeten diese Schulden dann beim Staat. Doch diese Ursachenkette ging bald verloren, es zählte nur das Ergebnis: Die Verschuldung der Staaten stieg, also musste es sich um eine „Staatsschuldenkrise“ handeln.
Die neoliberale Mär zog, weil die Finanzkrise kompliziert war. Das ist bei Corona anders. Für alle ist offensichtlich, dass der „Markt“ nicht die ökonomischen Folgen eines Virus abwehren kann. Deswegen ruft ja jeder nach dem Staat.
21 Mar 2020
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