taz.de -- Regionalentwicklung und Hochschulen: Nach den Sternen greifen

Hochschulen sollen aktiver werden, um regionale Entwicklungen voranzutreiben. Abgehängte Regionen dürfen nicht weiter absteigen.
Bild: Eine Hochbahn in Dortmund: Verbindet die Uni und das Technologiezentrum

Berlin taz | Kann Wissenschaft Deutschlands „abgehängte“ Regionen vor dem weiteren wirtschaftlichen Abstieg und politischer Radikalisierung bewahren? Auf der Berliner Transferkonferenz der Hochschulallianz für den Mittelstand wurden in dieser Woche frühere Konzepte der Regionalentwicklung durch Wissenschaft mit den heutigen Herausforderungen des [1][Strukturwandels] verglichen. Das Ergebnis: Die Hochschulen gehören ins Zentrum der gesellschaftlichen Innovationsprozesse und müssen diese viel aktiver antreiben.

Guido Baranowski, Leiter des größten deutschen Technologiezentrums in Dortmund, erinnerte an den ersten Kohleausstieg in den 80er-Jahren. Damals wurden die Steinkohlezechen stillgelegt, auch die Stahlproduktion brach ein.

„Allein in Dortmund gingen 80.000 industrielle Arbeitsplätze verloren“, sagte Baranowski. Für den wirtschaftlichen Strukturwandel wurden 250 Millionen Euro bereitgestellt. Zum Vergleich: Der heutige Braunkohle-Ausstieg in drei Regionen mit 86.000 betroffenen Arbeitsplätzen wird mit 40 Milliarden Euro kompensiert. Baranowski gründete damals das Technologiezentrum, eines der ersten seiner Art in Deutschland, in dem Gründerfirmen wuchsen und innovative Branchen wie die Biotechnologie Fuß fassten. Heute sind dort neben der Wissenschaft 280 Technologiefirmen mit 9.500 Beschäftigten tätig.

Das Modell des Technologietransfers aus der Wissenschaft in die Wirtschaft wurde in den 90er-Jahren auch in die neuen ostdeutschen Bundesländer exportiert, konnte aber nicht wirklich zu breitenwirksamem Strukturwandel in der Wirtschaft beitragen. Ratschlag des Staatssekretärs aus dem Bundesforschungsministeriums, Wolf-Dieter Lukas: „Sie müssen nach den Sternen greifen.“ Das war gut Reden für Brandenburgs frisch gebackene Wissenschaftsministerin Manja Schüle: Für die [2][Transformationsregion Lausitz] stehen zwar bald Riesensummen bereit, aber es gibt gerade mal eine Universität, in Cottbus, die Innovationskeime produzieren könnte. Die Umsetzungsstruktur fehlt.

Fritz Rettberg, der bei der Stadt Dortmund das Amt des „Chief Innovation Officer“ bekleidet, propagierte daher den kommunalen Weg der Modernisierung. Digitalisierung, Klimawandel, Verkehrswende, New Work nannte er als Beispiele für das verschärfte Tempo der Transformation, die sich im urbanen Raum bündele: „Die Städte sind jetzt der Ernstfall, wo alles passiert“, so Rettberg. Deshalb sollten die Hochschulen und Forschungseinrichtungen „aktiv auf die Städte zugehen“, um ihr Wissen dort wirksam zu machen. In Dortmund habe dies etwa zur „Smart City Allianz“ geführt, die sich jetzt 30 Digital-Projekte vorgenommen habe.

31 Jan 2020

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[1] /Kohleausstieg-in-der-Lausitz/!5619063
[2] /Kohleausstieg-in-der-Lausitz/!5619063

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Manfred Ronzheimer

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