taz.de -- „Wir haben es satt“-Demo in Berlin: Kostümiert gegen Klöckner
25.000 Menschen demonstrierten am Samstag für eine umweltfreundlichere Agrarpolitik. TeilnehmerInnen richteten klare Worte an die Umweltministerin.
Berlin taz | Unter dem Motto „Agrarwende anpacken, Klima schützen“ haben am Samstag Zehntausende BäuerInnen und VerbraucherInnen im Berliner Regierungsviertel demonstriert. „In der Agrarlandschaft blicken wir auf eine Politik des kompletten Versagens zurück“, verkündete [1][NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger] vor dem Brandenburger Tor. „Wir haben Biodiversitätsverluste, [2][wir verlieren Insekten], wir verlieren die Vögel, wir verlieren die Höfe und wir verlieren die Chance auf eine saubere Zukunft mit einer zukunftsfähigen Landwirtschaft.“
Bauernhöfe beim notwendigen Umbau der Landwirtschaft unterstützen – das ist die zentrale Forderung der DemonstrantInnen. „Frau Klöckner und Frau Merkel haben es dieses Jahr in der Hand“, sagte Krüger. „Wir müssen Schluss machen mit zehn, 15, 20 Jahren Leistungsverweigerung in der Politik.“ Auch Martin Kaiser, Geschäftsführer von [3][Greenpeace], richtete sich direkt an die Landwirtschaftsministerin. „Wo hat Frau Klöckner bitte Ihren Job gemacht?“, fragte er. „Sie läuft auf der Grünen Woche herum mit ihrer Kampagne und sagt: Du entscheidest. Und will damit die Schuld den Verbrauchern in die Schuhe schieben. Frau Ministerin, wir haben es satt.“
170 TreckerfahrerInnen aus ganz Deutschland führten die Demonstration an. Die Emissionen, die durch deren Anreise entstehen, werden kompensiert, versicherten die OrganisatorInnen. Es ist bereits das zehnte Jahr der [4][„Wir haben es satt“]-Demonstration, die jedes Jahr im Januar anlässlich der [5][Agrarmesse Grüne Woche] stattfindet. „In den letzten zehn Jahren sind über 250.000 Menschen für die Landwirtschaft auf die Straße gegangen“, verkündete Christian Rollmann, Pressesprecher des „Satt“-Bündnisses.
Während er am Samstag von 27.000 TeilnehmerInnen sprach, belief sich die Zahl nach Angaben der Polizei auf 20.000 bis 25.000. Viele DemonstrantInnen waren verkleidet gekommen, als Kühe, Bienen und Imker. „Lasst die Sau raus!“, forderten sie auf ihren Schildern, und „Insekten schützen, Pestizide stoppen“. Auch für Sibylle Arians zählt das zu den zentralen Forderungen. „Es braucht ein Verbot von Glyphosat und Pestiziden, keine Neuzulassungen von Beizmittel (Anm.: Pflanzenschutzmittel) und massive Förderung von kleinbäuerlicher und ökologischer Landwirtschaft.“
Arians ist pensionierte Geografielehrerin und für die Demonstration aus Solingen angereist. „Es ist wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen. Die Landwirtschaft ernährt uns alle. Und die Bauern können unsere Erde entweder schützen oder zerstören.“ Neben ihren Forderungen schien den DemonstrantInnen in Berlin vor allem eines wichtig zu sein: Offenheit und Toleranz. „Bunte Äcker statt braunes Gemecker“ forderten einige TreckerfahrerInnen, die Veranstalter luden explizit Geflüchtete zur Demonstration ein.
Die „Satt“-Demo versuchte, sich abzugrenzen von einer Treckerdemo in Bayern, die am Freitag durch Banner mit rechtsextremen Symbolen Aufsehen erregt hatte. Berlin zeigte sich bunt – sowohl im Publikum, als auch auf der Bühne. Neben AktivistInnen aus Brasilien und Polen sprach dort auch die indische Globalisierungskritikerin Vandana Shiva. „Wir müssen unsere Felder, unsere Teller, unser Leben bis 2030 komplett von Giften befreien“, sagte Shiva und forderte: „Keine Kooperation mit Konzernen.“
18 Jan 2020
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Imker verlangt von einer Agrarfirma Schadenersatz für Glyphosat in seinem Produkt. Wer ist verantwortlich? Das entscheidet nun ein Pilotprozess.
Am Sonntag wollen Umweltschützer beim Treffen der EU-Landwirtschaftsminister demonstrieren. Ihnen geht es um eine Agrarwende, sagt die Organisatorin Saskia Richartz.
Auf der Grünen Woche koexistieren die Nachfolgestaaten der Sowjetunion friedlich und bieten allerlei Getränke an. Ein Rundgang.
Constanze Altmann und Nadine Berger erklären, wie ein neues Aktionsbündnis Fair Trade in Berlin voranbringen soll.
Dirk Andresen ist an einem überdurchschnittlich großen Agrarunternehmen beteiligt. Dennoch glaubt er, für alle Bauern sprechen zu können.
Der Ausgehtipp fürs Wochenende: Ein bisschen Umschauen in der fertigen Friedrichswerderschen Kirche und dann zur „Wir haben es satt“-Demo.