taz.de -- Die Wahrheit: Martyrium in Blech

Kaum benötigt man einen alltäglichen Gebrauchsgegenstand dringend, erlischt das gleisnerische Konsumversprechen des Kapitalismus.

Gemeinhin gilt es als der große Kompromiss im Kapitalismus: Alle werden unaufhörlich geknechtet und entmündigt, unbarmherzig beutet das Kapital menschliche Arbeit aus – dafür erhält man ein reichhaltiges Warenangebot, kann ganzjährig Kiwis, Koalas und überhaupt alles erwerben und kriegt beim Frisör immer öfter einen kostenlosen Kaffee dazu. Diese Situation wurde gemeinhin zwar nicht als gut, aber doch als akzeptable Zwischenlösung betrachtet – so auch von mir. Bis ich einmal Blech kaufen wollte.

Aus Gründen, die nur mich etwas angehen, benötigte ich ein Stück Blech, 30 x 30 cm Zuschnitt. Das allereinfachste Produkt, könnte man meinen. Ich begann dort, wo ich immer kaufe, im Woolworth auf der Berger Straße. Sie hatten vieles, aber kein Blech. „Zu geringe Nachfrage!“ Macht nichts, dachte ich mir, dann hat es der Euroshop daneben. Ich wurde freundlich beraten, doch Blech, nein, das führe man im Moment nicht. Bemerkte ich da schon ein nervöses Zucken der linken Augenbraue? Die Frankfurter Conrad-Filiale beherbergt ein riesiges Heimwerker-Emporium, doch Bleche, haha, nein, Bleche gibt es hier nicht, wurde mir beschieden. Was ich denn überhaupt mit Blech wolle. An Blech könne man sich schneiden! Inzwischen waren etwa zwei Stunden vergangen.

Bisher war mir Blech als etwas recht Simples erschienen, Teil der menschlichen Grundversorgung, so wie Milch, Papier oder Nivea. In dem großen Bastelgeschäft auf der Zeil wurde ich hingegen wie ein Verrückter behandelt. „Meinen Sie metallglänzendes Papier?“, fragte die Bastelperson, die Hand schon halb am Notruf. „Nein, Blech! Gewalztes Metall!“ – „So was gibt es hier nicht, und ich wüsste auch nicht, wo in Frankfurt man so was kaufen kann. Fahren Sie doch mal ins Umland.“ Ich wollte aber nicht ins Umland! Ich wollte in einer deutschen Großstadt werktags um 17 Uhr 30 ein Stück Blech kaufen, wie es mein natürliches Recht als Untertan des Kapitalismus ist.

Freunde, denen ich von meinem Martyrium berichtete, wurden eigenartig. „Kauf doch ein Whiteboard! Das ist fast wie Blech!“, und wieder: „An Blech kannst du dich schneiden!“ Warum sprachen meine vorgeblichen Freunde plötzlich mit denselben gewalzten, halt: gestanzten Phrasen wie die Verkäufer? War es eine Verschwörung? War die ganze Welt von einem ungeheuren Blechmangel betroffen, der vertuscht werden musste? Und warum waren alle eingeweiht, außer mir? Selbst im Modellbaushop, wo die Kundschaft aussieht, als müsse man ihr beim Anziehen helfen, wurde ich behandelt wie ein Pestkranker. „Ich habe das Recht, Metall zu kaufen“, schrie ich beim Hinausgehen.“ Das ist kein ungewöhnlicher Wunsch! Wegen so was wenden sich Menschen von der Demokratie ab!“ Ein Polizeiwagen schloss zu mir auf.

Meine These: Es gibt überhaupt kein Blech mehr auf der Welt. Bloß noch metallglänzendes Papier. Halten Sie mal ein Feuerzeug dagegen! Und stellen Sie nicht zu viele Fragen.

23 Jan 2020

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Leo Fischer

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