taz.de -- Co-Vorsitzende der Kohlekommission: „Großkonflikt ist wieder offen“
Die Regierung behauptet, den Kohleausstieg so umzusetzen wie von der Expertenkommission gefordert. Deren Co-Vorsitzende Barbara Praetorius widerspricht.
Frau Praetorius, wie glücklich sind Sie als ehemalige Co-Vorsitzende der Kohlekommission, dass die Bundesregierung ihre Vorschläge für den [1][Kohleausstieg nach einem Jahr endlich umsetzen will]?
Barbara Praetorius: Ich bin überhaupt nicht glücklich, denn genau das tut die Regierung ja leider gar nicht. Ihr Plan weicht in wichtigen Punkten von unseren Vorschlägen ab.
Was sind die wichtigsten Unterschiede?
Die Braunkohlekraftwerke gehen nicht stetig vom Netz, wie im Abschlussbericht der Kommission gefordert, sondern sehr spät und gehäuft in den Jahren 2028/2029 und 2038. Das ist sowohl klimapolitisch zu wenig als auch energiewirtschaftlich ein Problem. Außerdem wird es ziemlich teuer erkauft. Denn zu Beginn werden einige Kraftwerke abgeschaltet, die 45 bis 60 Jahre gelaufen sind. Die sind alt und längst abgeschrieben. Damit wird etwas vergoldet, was ohnehin schon kurz vor dem wirtschaftlichen Ende steht, übrigens auch wegen steigender Preise der Emissionszertifikate. Und dass mit Datteln 4 noch ein neues Kraftwerk ans Netz geht, widerspricht nicht nur den Forderungen der Kommission, sondern ist ein völlig falsches Signal.
Was ist an Datteln so schlimm? Die Regierung sagt, es ist fürs Klima sogar gut, wenn der Strom aus einem modernen Kohlekraftwerk kommt und dafür ältere abgeschaltet werden.
Weil ein neues Kohlekraftwerk deutlich effizienter ist, dürfte es nicht nur ältere, unwirtschaftliche Kohlekraftwerke verdrängen, sondern auch klimafreundlichere Alternativen und Gaskraftwerke, auch jenseits der Grenze. Zudem gibt es Abnahmeverträge für den Strom aus Datteln, was insgesamt für eine hohe Auslastung und hohe Emissionen des Kraftwerks sorgen wird. Dass das ein Beitrag zum Klimaschutz sein soll, ist weder national noch international zu vermitteln.
Welche Folgen wird das haben?
Insgesamt sehe ich das Ganze als Aufkündigung des mühsam errungenen Kohlekompromisses. Und damit setzt die Regierung auch die Befriedung dieses gesellschaftlichen Großkonflikts aufs Spiel. Der ist jetzt wieder offen.
Sind die Planungen nicht ohnehin längst überholt, bevor der Ausstieg so richtig los geht? Wenn die [2][EU die Klimaziele für 2030 verschärft], wird auch der Kohleausstieg schneller gehen müssen.
Ja, das was jetzt vorgelegt wurde, wird schnell Makulatur werden. Erstens weil damit die Klimaschutzziele von Paris nicht erreicht werden und zweitens, weil die EU sehr viel ambitioniertere Ziele verabreden möchte. Die Aufgabe, einen vernünftigen und klimakompatiblen Kohleausstieg hinzukriegen, wird letztlich auf die nächste Regierung gewälzt.
17 Jan 2020
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Aus dem jüngsten Gesetzentwurf ergibt sich, dass schon 2034 keine Steinkohlekraftwerke am Netz sind. Der Bund will das so nicht bestätigen.
Acht ehemalige Mitglieder der Kohlekommission werfen der Regierung vor, den Kompromiss zu untergraben. Das führe zu weit höheren CO2-Emissionen.
Die Bundesregierung erwartet durch das Kohlekraftwerk 10 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich. Das soll durch mehr Stilllegungen kompensiert werden.
„Wir heizen weiter auf die Klimakrise zu“: Aktivist*innen aus dem Hambacher Wald kritisieren den Kohleausstiegsplan von Bund und Ländern.
Die Pläne der Regierung zum Kohleausstieg sind keine Katastrophe. Um die Klimaziele zu erreichen, reichen sie aber nicht.
Der Abschaltplan für Kohlekraftwerke steht. Doch Bund, Länder und Konzerne setzen die Forderungen der Kohlekommission nicht exakt um.
Bund und Länder haben sich geeinigt: Der Kohleausstieg kommt bis spätestens 2038. Der Hambacher Forst bleibt, das Kraftwerk Datteln geht aber ans Netz.