taz.de -- Programm gegen linke Gewalt: Sachsen zielt auf Linksaußen

Nach Angriffen auf Bauprojekte geht eine Soko gegen LinksextremistInnen an den Start. Auch andernorts wird vor der Szene gewarnt.
Bild: Gewalt von Links? Zerstörte Kräne auf einer Baustelle in Leipzig, die Polizei vermutet Brandstiftung

Berlin taz | Sachsen macht gegen Linksaußen mobil. Am Mittwoch verkündeten Innenminister Roland Wöller und Justizminister Sebastian Gemkow, beide CDU, eine neue Soko Linksextremismus. „Wir lassen es nicht zu, dass eine linksextremistische Szene den Rechtsstaat und seine Bürger terrorisiert“, sagte Wöller.

Zuletzt häuften sich Straftaten, die die Behörden Linksextremen zuordnen. So wurden in Leipzig Polizisten angegriffen, auf Baustellen von Neubauten brannten Bagger und Baukräne, Nachbarn mussten evakuiert werden. Erst am Sonntagabend wurde die Mitarbeiterin einer Immobilienfirma zu Hause mit Faustschlägen von zwei Unbekannten angegriffen. Zuletzt brannten auch Baufahrzeuge in Bautzen und Rodewisch.

Wöller sprach von einer „neuen Qualität der Gewalt“. Die linksextreme Szene gefährde inzwischen Menschenleben, es würden nicht mehr nur Sachen, sondern auch Personen direkt angegriffen. „Darauf werden wir hart und konsequent reagieren.“ Man dulde keine rechtsfreien Räume.

Umsetzen soll dies eine neue Soko Linksextremismus, angesiedelt in Leipzig. Zwanzig PolizistInnen sollen dort ermitteln, dazu zwei Staatsanwälte. So gebe es kurze Wege und schnelle Entscheidungen, sagte Sachsens Polizeipräsident Horst Kretzschmer. Ziel sei es, in die linksextremen Strukturen zu kommen und die Straftäter aufzuspüren.

Bisher keine Verdächtigen

Hieran indes hapert es bisher. So räumte Sachsens Generalstaatsanwalt Hans Strobl am Mittwoch ein, bisher keine Verdächtigen zu den jüngsten Taten ermittelt zu haben. Kretzschmar aber sagte, man habe Ermittlungsansätze, die „optimistisch“ stimmten.

Tatsächlich gab es zu den jüngsten Angriffen Bekenntnisse auf dem linken Onlineportal Indymedia. Dort wird der Anschlag auf die Baukräne als Aktion gegen [1][Gentrifizierung] bezeichnet: „Wir sind Teil derjenigen, die um ihren Wohnraum bangen.“ Zu dem Angriff auf die Immobilienfrau bekannte sich eine „Kiezmiliz“. „Wir haben uns entschieden, die Verantwortliche für den Bau eines problematischen Projekts im Leipziger Süden da zu treffen, wo es ihr auch wirklich weh tut: in ihrem Gesicht“, heißt es dazu.

Bereits Leipzigs Bürgermeister Burkhard Jung fand dazu deutliche Worte. „Der Weg zum politischen Mord ist nicht mehr weit“, sagte der SPD-Mann. „Die von der linksextremen Szene verbreitete Mär, man sei nur gegen Sachen und staatliche Institutionen gewalttätig, nicht gegen Personen, entlarvt als das, was es immer war: eine Lüge.“ Man müsse gegen diese Szene „mit allen Mitteln eingreifen“. Am Freitag will sich Jung deshalb mit Wöller treffen.

Auch bundesweit sortieren sich die Sicherheitsbehörden beim Linksextremismus derzeit neu. Jahrelang hatte dort der Islamismus Priorität, zuletzt nun der Rechtsextremismus. Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang warnte aber bereits vergangene Woche vor einem „kontinuierlich gestiegenen Aggressionsniveau“ von LinksextremistInnen. 9.000 Gewaltbereite zähle man dort. Und diese verstünden es auch, zivilgesellschaftlichen Protest „zu kapern“.

Dient die SoKo zur Profilierung?

Immer wieder verweisen die Behörden auf die G20-Krawalle in Hamburg oder Straftaten im Zuge der Proteste im Hambacher Forst. Erst am Wochenende kam es zudem auf einer Demonstration gegen Verdrängung in Berlin zu Stein- und Flaschenwürfen auf Polizisten in der Rigaer Straße. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) verurteilte auch dies „aufs Schärfste“. „Wer Menschen angreift, die das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sichern, hat sich von der ernsthaften politischen Debatte verabschiedet.“

In Sachsen ist das Vorgehen gegen Linksaußen dennoch nicht unumstritten. Denn [2][das große Problem liegt woanders]: 2.800 RechtsextremistInnen zählt der Verfassungsschutz im Land, auf linker Seite sind es 785. Die Linken-Innenexpertin Kerstin Köditz verurteilte Straftaten, nannte die Soko aber „parteipolitisch motiviert“. „Ich wundere mich, wie viel Wirbel um die Ermittlungen gemacht wird.“

Auch zog die CDU das Vorhaben trotz der laufenden Koalitionsverhandlungen mit Grünen und SPD durch. Und Justizminister Gemkow will 2020 Bürgermeister von Leipzig werden. Die Soko, auch ein Stück Profilierung? Gemkow verneinte: Man sei schlicht durch die Straftaten „zum Handeln gezwungen“ worden.

6 Nov 2019

LINKS

[1] /Kampf-gegen-Mietenexplosion/!5635030
[2] /Neue-Ideen-gegen-Rechtsextremismus/!5634913

AUTOREN

Konrad Litschko

TAGS

Linksextremismus
Leipzig
Gentrifizierung
Sachsen
Linksextremismus
Autonome
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt Rassismus
taz.gazete
30 Jahre friedliche Revolution
Oskar Lafontaine

ARTIKEL ZUM THEMA

Soko Linx in Sachsen: Übers Ziel hinausgeschossen

Vor einem Jahr gründete Sachsen die Soko Linx, um linke Straftäter zu fassen. Nun häufen sich Misserfolge. Zwei Festgenommene kommen frei.

Anschlagsserie in Sachsen: Ein Verdacht liegt in der Luft

Über Monate verübten wohl Autonome Anschläge in Sachsen, nun konnte die Polizei zwei Männer festnehmen. Doch die Beweise sind überaus dünn.

Festnahme am G20-Jahrestag in Hamburg: Parkbank-Trio angeklagt

Staatsanwaltschaft klagt zwei Männer und eine Frau wegen der Vorbereitung mehrerer teils schwerer Brandstiftungen an. Zwei sitzen in U-Haft.

Rassistischer Übergriff durch Beamte: Polizeigewalt gegen Geflüchteten

Ein Video dokumentiert, wie Beamt*innen in Brandenburg einen Geflüchteten schlagen. Die Behörden wollen darin keinen Rassismus erkennen.

Wortwahl „Nazinotstand“: Dresdens OB distanziert sich

Dirk Hilbert, Oberbürgermeister von Dresden, kritisiert den Begriff „Nazinotstand“. Der Stadtrat hatte einen Beschluss unter diesem Namen gefasst.

Ostdeutsche Perspektiven nach der Wende: Worüber müssen wir reden?

Rassismus, Selbstbild, SED: Wir müssen anders über den Osten sprechen. Eine Politikerin, ein Filmemacher, eine Autorin – drei Protokolle.

30 Jahre Mauerfall: Geistiges Kleingärtnertum

Die westdeutsche Linke träumte von Revolutionen. Doch als 1989 eine vor ihrer Haustür geschah, war sie überfordert.