taz.de -- Unicef-Bericht zu Ernährung: Die dicken Kinder der Reichen
Griechenland, Italien und Malta bringen laut einer Studie viele dicke Kinder hervor. Und das, obwohl diese Länder für ihre Mittelmeerdiät berühmt sind.
BERLIN taz | Zum Welternährungstag am 16. Oktober [1][hat Unicef den Bericht „Children, food and nutrition“ vorgelegt]. Bei der Auflistung des Anteils übergewichtiger Kinder und Heranwachsender zwischen fünf und neunzehn Jahren liegt Italien unter 41 OECD- und EU-Ländern auf dem fünften Platz – übertroffen nur von den USA, Neuseeland, Griechenland und Malta.
Diese letzten Platzierungen gaben Anlass zur Frage, warum ausgerechnet Länder [2][mit der seit Jahr und Tag gepriesenen Mittelmeerdiät] so viele dicke Kinder hervorbrächten. „Damit hätten wir nie gerechnet“, [3][wird ein Unicef-Ernährungsexperte bei Spiegel Online zitiert] und das Interview mit der nicht ganz korrekten Überschrift „Die meisten fettleibigen Kinder gibt es in Italien“ versehen.
Im Corriere della sera hält der Präsident von Unicef Italia aber den Anteil der dicken Kinder von 36,8 Prozent und den Anstieg seit 1990 um fast 40 Prozent jedenfalls für beunruhigend [4][und spricht von einer wirklichen Epidemie]. Die drei genannten Südstaaten der Europäischen Union haben dabei nicht nur die schwersten, sondern gleichzeitig die wenigsten Kinder – bei der Fertilitätsrate stehen sie auf den letzten Plätzen der EU, zusammen mit Zypern, Spanien und Portugal.
Gleichfalls im Corriere [5][hat am Dienstag der preisgekrönte Schriftsteller Antonio Scurati], geboren 1969, politische und soziale Missstände allein als Begründung für die Zeugungsverweigerung seiner Generation – „der unfruchtbarsten der Menschheitsgeschichte“ – zurückgewiesen. Es sei vielmehr eine Mixtur aus punkigem respektive neoliberalem Zynismus gewesen, die dem Kindermachen und -aufziehen entgegenstanden hätten, in Scuratis Worten: „Immer war es Samstagabend und wir gerade unterwegs zu einer Party.“
Zurück zu Unicef. Die sagen: „Diejenigen Kinder, die an Übergewicht leiden, stammen üblicherweise aus sozial und wirtschaftlich benachteiligten Familien.“ Also Kinder von Eltern, die die Party der letzten Jahrzehnte eher nicht mitgemacht haben.
Der privilegierte, gegenwartssüchtige Teil der Generation Scuratis hat eben durchaus seine Kinder bekommen – die dicken Kinder der Armen nämlich, auf die vor allem der von Unicef konstatierte negative Einfluss der Nahrungsmittelindustrie einwirkt. Die Frage nach der Mittelmeerdiät erweist sich so gesehen als intellektuell und moralisch doch recht: verfettet.
16 Oct 2019
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Reisen nach Italien waren schon in der Antike in. Heute wird die „Grand Tour“ von Kreuzfahrtschiffen angeboten. Wie hat sich das Reisen verändert?
Die Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hat sich für eine Nutri-Score-Ernährungsampel entschieden. Aber dieser Schwenk kommt spät.
Die Start-up-Kultur hat die Küchen erreicht, zusammen mit der Digitalisierung stellt sie die Essensbranche auf den Kopf.
Weltweit ist die Ernährung von zwei Milliarden Menschen prekär, berichtet die UNO. Die Zahl steigt wieder – nachdem sie bis 2015 noch gesunken war.