taz.de -- Syrienoffensive der Türkei: Kurden leisten Widerstand
Die türkische Armee stößt in Nordsyrien auf Gegenwehr, doch einige arabische Stämme unterstützen die Invasion. 70.000 Menschen sind auf der Flucht.
Berlin taz | Mehr als 70.000 Menschen in den kurdisch kontrollierten Gebieten Syriens haben seit [1][Beginn der türkischen Militärinvasion] die Flucht ergriffen. Das teilte das UN-Welternährungsprogramm am Freitag mit. Besonders aus den unmittelbar an der türkischen Grenze gelegenen Dörfern und Städten sind die Menschen geflohen.
In Ras al-Ain und al-Darbasiyah befänden sich kaum noch Zivilisten, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Freitag. In der weiter südlich gelegenen Stadt Rakka, die sich außerhalb des umkämpften Gebiets befindet, haben die kurdischen Behörden mehrere Auffanglager eingerichtet.
Die Türkei setzte am Freitag ihre Offensive fort. Ein Sprecher des kurdisch geführten Militärbündnisses berichtete von Artillerieangriffen auf die mehrheitlich von Kurden bewohnte Stadt Kobane. Zuvor hatte die Türkei einige kleine Dörfer eingenommen, war aber auf heftigen Widerstand der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gestoßen.
Unterdessen zeigten sich erste Risse zwischen prokurdischen Kämpfern und einigen der in der Region beheimateten arabischen Stämme. Nach Angaben des Pressezentrums der kurdischen Selbstverwaltung in [2][Nord- und Ostsyrien] haben sich mehrere arabische Stämme hinter die türkische Armee gestellt.
In dem kurdisch kontrollierten Teil Syriens leben neben syrischen Kurden auch Araber und andere ethnische Gruppen. Die Selbstverwaltung verfolgt eine Rhetorik des friedlichen Zusammenlebens, doch ist die Kurdenpartei PYD tonangebend in allen wichtigen Entscheidungen. Inwieweit es der Führung gelingt, den Rückhalt wichtiger arabischer Stämme für die kurdisch dominierte Selbstverwaltung zu sichern, dürfte eine wichtige Rolle spielen für die Zukunft der Region.
Spannungen unter Nato-Staaten
Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums tötete die türkische Armee bis Freitag 277 prokurdische Kämpfer. Auch aufseiten der Angreifer kam demnach ein türkischer Soldat ums Leben. Zudem wurden laut Syrischer Beobachtungsstelle 17 Kämpfer der mit der Türkei verbündeten Rebellen getötet.
Die Militäroffensive führt zu Spannungen zwischen den Nato-Staaten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg traf am Freitag den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sowie Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Stoltenberg sagte, er habe seine „ernsten Bedenken hinsichtlich einer Destabilisierung der Region“ geteilt und habe die türkische Regierung gebeten, „zurückhaltend zu agieren“.
Çavuşoğlu forderte dagegen Solidarität und Unterstützung im Kampf gegen die kurdischen Kämpfer in Syrien, die von der türkischen Regierung wegen ihrer Nähe zur türkisch-kurdischen PKK als Terroristen betrachtet wird. „Ihr habt diese Terrororganisation mit Waffen ausgestattet und sie ausgebildet. Das ist nicht mein Problem. Das ist in Wahrheit deine Doppelmoral“, sagte er.
11 Oct 2019
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
100.000 Menschen befinden sich wegen der Militäroffensive auf der Flucht. Viele schon das zweite Mal in wenigen Jahren.
Die Arabische Liga fordert ein sofortiges Ende der „Invasion“ des türkischen Militärs in Syrien. Auch Frankreich und die USA verschärfen den Ton.
Am Donnerstag demonstrierten Tausende in Berlin-Kreuzberg gegen den türkischen Angriff auf die kurdischen Gebiete in Nordsyrien.
Zehntausende Zivilisten in Nordsyrien sind auf der Flucht. Panos Moumtzis, Leiter des UN-Hilfseinsatzes, fordert Zugang zu allen Bedürftigen.
Während in den USA Forderungen nach Sanktionen gegen die Türkei laut werden, hält sich die EU noch zurück. Doch gleichgültig bleiben könne man nicht.
Die Politik der EU ist zahnlos, sie ist auf Gedeih und Verderb von Erdoğan abhängig – wegen des Flüchtlingsdeals, den Merkel 2016 eingefädelt hat.
Bundesverfassungsgericht hält die Organklage der Links-Fraktion gegen den Anti-IS-Einsatz der Bundeswehr für unzulässig.
Erdoğans Angriff auf Nordsyrien ist völkerrechtswidrig. Eine terroristische Bedrohung gibt es nicht – aber sie wird durch den Krieg wahrscheinlicher.
Nach Kampfjets sind auch türkische Bodentruppen auf syrisches Territorium vorgedrungen. Tausende Zivilisten sind auf der Flucht.