taz.de -- Protestbewegung gegen Braunkohle: Jetzt kommt die Abrechnung
Die Aktivisten von Ende Gelände werfen der Polizei unverhältnismäßige Gewalt vor. Gegner machen im Netz indes Stimmung mit einem gefakten Müll-Bild.
Köln taz | Als die letzten der 40.000 Kids von Friday for Future Aachen am Sonntag wieder verlassen hatten, staunten alle nicht schlecht: den Abfall selbst weggeräumt; vorbildlich, hieß es von der Stadt. Im Internet aber wurde ein Bild verbreitet mit tonnenweise Müll am Straßenrand der Demostrecke. Die üblichen Empörungsreflexe kamen prompt: Dreckskids, Schweinerei. Indes: Das Bild war geklaut und stammte vom letzten Rosenmontagszug. Tataaa.
Am Montag sind die HetzerInnen im Netz wieder steilgegangen, kaum dass die Initiative „Ende Gelände“ ihre Besetzungen im Braunkohlerevier Garzweiler beendet hatte. Schimpfe über Müll, zertrampelte Felder mit ungezählten Opfern rheinischer Möhrchen und Zuckerrüben, dazu angeblich viele zurückgelassene weiße Demo-Anzüge, das Markenzeichen der Ende-Gelände-Leute. Bauer Willi Kremer-Schillings aus Rommerskirchen beklagt sich auf [1][seiner Homepage], ProtestiererInnen seien „über ein abgeerntetes Petersilienfeld gewandert“, nennt das „unfassbar!“ und klagt allgemein: „Asoziale Klimagegner latschen durch Äcker.“ Was nur sind „Klimagegner“?
Kathrin Henneberger, Sprecherin von Ende Gelände, zur taz: „Wenn es Schäden gegeben hat, sollen sich Bauern und Bäuerinnen direkt bei uns melden. Ernteausfälle erstatten wir. So haben wir das schon immer gehalten.“ Gleichzeitig twitterte die Polizei von „zahlreichen Flurschäden auf Feldern ortsansässiger Landwirte“, diese mögen Strafanzeige erstatten. Henneberger sagt: „Die wissen genau, dass wir das selbst regeln. Aber die Polizei will lieber alle jeck machen.“
Auch das Netz hat Wind bekommen von den freiwilligen Reparaturzahlungen. Suspekt! Woher diese ortsfremden Horden denn ihr Geld hätten, twittert einer und fordert: Konten offenlegen! Was bislang fehlt, sind Hinweise auf Mossad, Islamismus, Illuminaten. Aber nicht Gewaltaufrufe („zur Jagd freigeben“) und rassistische Pöbeleien.
Müll, Plastikoveralls und Landschaftsfresser
Bei den ultradünnen, fast durchsichtigen Overalls handele es sich, sagt Henneberger, übrigens „um ganz alltägliche Malerschutzanzüge, wie man sie in jedem Baumarkt kaufen kann. Falls auf den Feldern, gehetzt von der Polizei, welche zurückgeblieben sind, tut uns das sehr leid. Die reißen sehr leicht.“ In Neurath, nach der Gleisbesetzung der Kohlebahn, „haben wir übrigens noch selbst allen Müll weggeräumt. Da war ich selbst dabei.“
Gleichzeitig machte Ende Gelände der [2][Polizei heftige Vorwürfe] wegen „zahlreicher Rechtsverstöße“ wie Einkesselungen und Kontaktverbot zu Anwälten nach Festnahme und unverhältnismäßige Gewalt: „Einsatz von Schlagstöcken, Pfefferspray, Schlägen und Tritten.“ Im Netz ist ein Polizist zu sehen, der einem Demonstranten ins Gesicht schlägt. Die Aachener Polizei will den Vorgang prüfen.
Die weit in der Grubentiefe versteckten Bagger haben die Protestierenden in Garzweiler nicht erreicht. Das glückte am Montag bei Sonnenaufgang vor dem Hambacher Wald sieben Frauen: Sie kletterten auf einen der Landschaftsfresser und hissten in 80 Meter Höhe das etwas jecke Banner „Bagger und Macker wegboxen“.
Nach sechs Stunden beendete ein Höheninterventionsteam die Besteigung. Unbekannt ist bislang, ob die Besetzerinnen vor der Ingewahrsamnahme das Banner rückstandsfrei abgemacht haben und es vor einem möglichen nächsten Einsatz anständig waschen und bügeln. Von Ende Gelände gab es jedenfalls „einen herzlichen Glückwunsch zu der tollen Aktion“.
24 Jun 2019
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