taz.de -- Urteil zu Rasern in Berlin: Autos sind tödliche Waffen
Beim Raserprozess hätten auch die Ideengeber angeklagt werden müssen. Automobile Massenvernichtungswaffen sollten verboten werden.
In einem der Kinderbuchklassiker von Richard Scarry hat ein kleines Schweinchen, nennen wir es Ulf, einen Riesenspaß daran, mit seinem Rennboot über die Wellen zu brettern. Leider ist Ulf sehr selbstverliebt und rücksichtslos unterwegs, alle möglichen Leute kommen durch seine Raserei zu Schaden. Irgendwann reicht es der Wasserpolizei, und ein strenger Nashorn-Bulle nimmt Asi-Ulf sein Spielzeug weg – aber er ist ein guter, ein weiser Polizist: In Zukunft darf das Ferkelchen in einem Gummibassin aufs Gaspedal drücken, sein Boot ist festgebunden.
In einem Land wie Deutschland, in dem es kein Tempolimit, aber Autolobbyisten als Verkehrsminister gibt; in dem fahrende Mordmaschinen nationales Aushängeschild sind wie in manchen Staaten der USA Sturmgewehre – in so einem Land ist das Berliner Urteil vom Dienstag gegen die verbrecherischen Vollpfosten Hamdi H. und Marvin N. ein ungerechtes. Denn die beiden „Ulfs“, die das Pech hatten, nicht früh genug von einer strengen wie verständnisvollen Autorität dauerhaft ins Bassin verwiesen zu werden, sind, [1][wie es schon im Dezember 2016 in der Zeit hieß], „in eine Diskussion hineingeraten, die größer ist als ihre Tat“ – eine über „die deutsche Seele“.
Und die deutsche Seele hat noch Benzin im Blut, sie muss drücken. Der Zeit-Artikel beschreibt ausführlich das Milieu von Männern, die in kleinen Plattenbauwohnungen bei ihrer Mutter wohnen, die aber nur für das Draußen im großen, getunten Auto leben. Es sind die Prolls, die jeder kennt, alles an ihnen ist geschmacklos, niemand ist besser als sie als Objekt geeignet für den Hass und das Ressentiment der anständigen deutschen Mittelstandsradler mit Fahrradhelm, Warnweste und Schrillklingel.
[2][Die Todesraser] sind für eine aus Populismus und Profitinteressen verfolgte verfehlte Verkehrspolitik das, was für eine über Jahrzehnte desinteressierte und feige Integrationspolitik die „Araber-Clans“ sind, die plötzlich überall hochploppen.
An dem Berliner und an vergleichbaren Vorfällen der letzten Jahre haben einfach zu viele Leute schuldhaft mitgewirkt, als dass man nun zwei Sündenböcke für die angerichteten Katastrophen, für den „Terror“, wie ein Berliner Richter ganz richtig sagte, allein verantwortlich machen könnte.
Die Monster werden geleast
Auf die Anklagebank hätten eben auch die Ideengeber gehört, für die geschmacklosen und gemeingefährlichen Brutalismen, die Deutschlands Straßen asozial für sich in Beschlag nehmen: die Vorstände der Autofirmen, die Designer und Ingenieure, die Politiker und PS-Journalisten – all die kleinen akademischen Schweinchen eben, die die Kosten ihrer Schweinigkeiten der Gemeinschaft aufhalsen, anstatt sie aus eigener Tasche zu bezahlen und auf geschlossenen Rundstrecken auszuleben. Und natürlich: die Kunden.
Zeit-Autor Fritz Zimmermann erklärt in seinem dauerhafte Schullektüre verdienenden Artikel übrigens auch, wie mehr oder weniger mittellose Menschen eigentlich an ein ab 60.000 Euro zu erwerbendes Tötungsstool, wie die beliebten und konkret eingesetzten Mercedes-AMG-Modelle, kommen. „Für diesen Preis kauft den keiner“, sagt der aufgesuchte Mercedes-Händler in Berlin.
Die Monster werden geleast, dafür gibt es zahlreiche Sonderkonditionen, die jungen Fahrer kommen „mit einem Verwandten mit Schwerbehindertenausweis“ in die Filiale, obwohl allen Beteiligten klar ist, dass der das Auto nicht fahren wird. Das Geschäft muss schließlich rennen und die Innenstädte müssen brennen – Blut und Tränen wischen dann schon die Angehörigen der Opfer weg. Und die Geschosse werden „immer größer, immer schwerer, immer schneller“.
Die konsequente Maßnahme, die aus dem Verbrechen von Berlin gezogen werden müsste und die dann in Zukunft auch [3][Verurteilungen für Mord bei Fällen von Raserei mit Todesfolge] rechtfertigen könnte, ist die: Verbot des Verkaufs, des Erwerbs und des Besitzes von automobilen Massenvernichtungswaffen zur Nutzung auf öffentlichen Straßen. Blasen wir derweil schon mal die Bassins auf.
27 Mar 2019
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