taz.de -- Brexit-Votum im britischen Unterhaus: Wieder eine Niederlage für May

In London gab es wieder keine Mehrheit für den Brexit-Vertrag. Nun wird die Zeit knapp. „Die Optionen sind trostlos“, meint die Premierministerin.
Bild: Konnte den mit der EU ausgehandelten Vertrag erneut nicht durchsetzen: Theresa May

London/Brüssel dpa | Die Appelle haben nichts genützt, die Drohungen nicht und auch nicht die Vision vom Beginn einer „strahlenden Zukunft“ für Großbritannien, die Premierministerin Theresa May immer wieder beschworen hat. Das Unterhaus hat wieder Nein gesagt. Der [1][Brexit-Deal mit der Europäischen Union] ist abgeschmettert. Und nun, Britannia?

May bekräftigte nach der bitteren Niederlage am Dienstagabend ihren Plan, am Mittwoch und Donnerstag weiter abstimmen zu lassen und sprach von „historischen Entscheidungen“. Zunächst sollen sich die Abgeordneten festlegen, ob sie einen Austritt ohne Vertrag zum vorgesehenen Zeitpunkt am 29. März wollen – für diesen Fall werden wirtschaftliche Turbulenzen und große Unsicherheit befürchtet. Findet der No-Deal-Brexit keine Mehrheit, sollen die Abgeordneten am Donnerstag [2][über eine mögliche Verschiebung des EU-Austritts befinden]. Die nächsten Schritte sind also klar. Aber sie weisen noch keinen Ausweg aus der Krise.

Die Verlängerung der zweijährigen Austrittsfrist über Ende März hinaus ist nach Artikel 50 des EU-Vertrags durchaus möglich und politisch letztlich auch wahrscheinlich. Allerdings müssten die 27 bleibenden EU-Staaten einen britischen Antrag einstimmig billigen. Und die wollen ein solches Anliegen nach eigenem Bekunden nicht einfach durchwinken. „Die EU27 wird eine glaubwürdige Begründung für eine mögliche Verlängerung und ihre Dauer erwarten“, erklärte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstagabend über einen Sprecher.

Eine Hürde ist der Termin für die Europawahl vom 23. bis 26. Mai: Als EU-Mitglied müsste Großbritannien am 2. Juli Abgeordnete zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments schicken. Denkbar sind deshalb zwei Varianten: eine kurze Verlängerung um wenige Wochen – in der Hoffnung auf eine Wende oder Lösung in London. Oder eine längere Verschiebung als eine Art Denkpause.

Labour ist für eine neue Volksabstimmung

May bekannte selbst, dass eine Verschiebung „ohne Plan“ die Probleme kaum mindern würde. Niemand kennt eine Alternative zu dem abgelehnten Abkommen, und in wenigen Wochen wäre auch kein neues auszuhandeln. Am Ende der verlängerten Austrittsfrist würde doch nur wieder die Drohung eines Chaos-Brexits stehen, sagte May und resümierte: „Die Optionen sind trostlos.“ Man begebe sich in die Hand der EU. Entschieden werden könnte beim EU-Gipfel Ende nächster Woche.

Der Europäische Gerichtshof hat den Weg aufgezeigt: Die britische Regierung könnte ihren 2017 gestellten Austrittsantrag bis zuletzt einseitig zurückziehen. Politisch gilt das jedoch als unwahrscheinlich. Nötig wäre wohl ein zweites Referendum, um so eine Kehrtwende zu legitimieren. May ist strikt dagegen und warnt vor einem Vertrauensverlust in die Demokratie, nachdem die Briten 2016 mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt hatten.

Die Labour-Opposition ist für eine neue Volksabstimmung, mobilisiert aber bisher im Unterhaus keine Mehrheit dafür. Einige in der EU sehen das trotzdem als Option. „Für eine erneute Befragung der Bevölkerung spricht auch, dass – anders als im Jahr 2016 – die Brexit-Folgen heute deutlich klarer sind: keiner der versprochenen Vorteile, aber Unsicherheit und Arbeitsplatzverluste“, meinte zum Beispiel der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sieht immerhin auch eine gestiegene Wahrscheinlichkeit, dass der Brexit ausfällt.

Auch die Gefahr eines Ausscheidens ohne Abkommen ist aus Sicht der EU größer geworden – zumal es am Dienstag nur noch 17 Tage bis zum Brexit-Datum waren. Sowohl May als auch die EU stemmen sich wegen des befürchteten Chaos gegen dieses Szenario.

Doch wenn Großbritannien und die EU nicht aktiv die Bremse ziehen, endet die britische EU-Mitgliedschaft automatisch am 29. März um 24.00 Uhr Brüsseler Zeit. Auch im britischen EU-Austrittsgesetz ist dieses Datum als Brexit-Termin festgeschrieben und müsste gestrichen werden. Eine Mehrheit im Unterhaus hat einen Brexit ohne Vertrag bereits einmal abgelehnt. Fehlt nun nur noch die Ansage, was sie stattdessen will.

13 Mar 2019

LINKS

[1] /EU-und-der-Brexit/!5576661
[2] /Brexit-und-EU/!5580303

TAGS

Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Theresa May
EU
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Nordirland

ARTIKEL ZUM THEMA

EU-Reaktionen auf Brexit-Abstimmung: Der Kontrollverlust droht

Deal or no deal? In den EU-Gremien fallen die Reaktionen auf das erneute Ablehnen des Brexit-Vertrags verschieden aus. Die Zeit wird knapp.

Kommentar Brexit-Abstimmung: Theresa Mays Chance

Zum zweiten Mal ist Mays Brexit-Deal gescheitert. Ist das ihr Ende? Vielleicht. Sie hat es jedoch in der Hand, ihren Abgang mit einem Coup zu verknüpfen.

EU und der Brexit: Die Skepsis bleibt

Auch die neue Einigung zwischen Juncker und May ändert grundsätzlich nichts. Brüssel macht klar: Das war's jetzt mit den Brexit-Verhandlungen.

Brexit und EU: Die Woche der Entscheidungen

Großbritanniens Parlament kann die Weichen stellen, ob das Land am 29. März die EU verlässt und wie. May trotzt der EU Zugeständnisse ab.

Großbritanniens Nordirland-Ministerin: Nur noch den Kopf schütteln

Die britische Ministerin Karen Bradley behauptet, dass fast alle Morde im Nordirlandkonflikt von Terroristen verübt wurden. Das sorgt für Aufruhr.