taz.de -- Haftstrafen für türkische Journalisten: Das Ende von „Cumhuriyet“

Nach dem Urteil im „Cumhuriyet“-Prozess müssen acht Angeklagte in Haft. Anderen steht noch eine Berufung offen. Die Zeitung aber ist tot.
Bild: Ein Plakat mit 13 Inhaftierten darauf hängt im Sommer 2017 am Verlagsgebäude der „Cumhuriyet“

Am Dienstagnachmittag endete in der Türkei der wichtigste Presseprozess des Landes mit einer Verurteilung aller 15 Angeklagten. Es geht um die gesamte frühere journalistische und verlegerische Führungsriege von Cumhuriyet, der wichtigsten unabhängigen Zeitung der Türkei: Die Leitung war im Herbst 2016 verhaftet und wegen „Unterstützung von Terrororganisationen“ angeklagt worden.

Das zuständige Berufungsgericht in Istanbul bestätigte sämtliche Urteile der Vorinstanz. Damit sind für acht Angeklagte die Urteile rechtskräftig, sie müssen ins Gefängnis. Sieben weitere Angeklagte haben noch die Möglichkeit Revision bei dem höchsten türkischen Gericht (Yargetai) einzulegen und wollen dieses Recht auch wahrnehmen. Unter diesen sieben Angeklagten sind die auch international bekanntesten Journalisten wie der Investigativjournalist Ahmet Sik, der ehemalige Chefredakteur Murat Sabuncu und der Kolumnist Aydin Engin sowie der Verleger Akin Atalay.

Der Unterschied zwischen denen, die nun ins Gefängnis müssen und denen die noch vor's Oberste Gericht ziehen können, ist das Strafmaß. Beträgt die Strafe weniger als 5 Jahre Haft, ist ein Revisionsverfahren ausgeschlossen.

Weil sie nur vier oder drei Jahre Knast bekamen, müssen der Karikaturist Musa Kart und der frühere Cumhuriyet Anwalt Bülent Utku, die Journalisten Mustafa Güngör, Hakan Kara, Önder Celik, Güray Öz und Emre Iper in den nächsten Tagen in verschiedenen Haftanstalten ihre Strafe antreten. Der ebenfalls verurteilte Kolumnist Kadri Gürsel, der als Vorstandsmitglied des „Internationalen Presse Instituts“ auch über die Grenzen der Türkei hinaus sehr bekannt ist, hat seine Strafe dagegen durch seine eineinhalb Jahre Untersuchungshaft bereits abgesessen.

Verrat und Spaltung

Bei denjenigen wie Ahmet Sik, Aydin Engin und Murat Sabuncu, die alle eine höhere Strafe als fünf Jahre bekommen haben, kann sich die Revision noch mehrere Jahre hinziehen. Sie sind alle auf freiem Fuß, Ahmet Sik ist mittlerweile sogar für die kurdisch-linke HDP ins Parlament gewählt worden.

Besonders tragisch ist, dass alle diese Leute heute nicht mehr für die Cumhuriyet arbeiten. Das ist nicht nur ein Ergebnis der Gerichtsprozesse, sondern auch internen Auseinandersetzungen geschuldet, die die Erdogan-Regierung benutzte, um die Redaktion zu spalten.

Herausgeber der Cumhuriyet ist eine Stiftung. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits vor Jahren moniert, dass es innerhalb der Stiftung zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei und deswegen die Zusammensetzung des Herausgeber-Gremiums angefochten. Während die Betroffenen in U-Haft saßen oder wegen „Terrorpropaganda“ angeklagt waren, stellten sich in dem Stiftungsverfahren einige Cumhuriyet Leute auf die Seite der Regierung und konnten zum Dank dafür die Kontrolle über die Zeitung übernehmen. Die Folge davon war, dass etliche der Angeklagten daraufhin entlassen wurden oder von sich aus die Zeitung verließen. Sie müssen jetzt nicht nur ins Gefängnis, sondern haben auch noch den Rückhalt ihrer Zeitung verloren.

Cumhuriyet ist zwar immer noch ein Oppositionsblatt, aber zu einer sehr traditionellen kemalistisch-etatistischen politischen Linie zurückgekehrt, die die jetzt verurteilten Journalisten zugunsten einer politisch offeneren, pluralistischeren Zeitung verlassen hatten.

20 Feb 2019

AUTOREN

Jürgen Gottschlich

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