taz.de -- Die Wahrheit: Genderkrieg in Hannover*in
In Niedersachsens Landeshauptstadt wurde der Untergang des Sprachlandes ausgerufen und wieder abgesagt. Die Bevölkerung bleibt gelassen.
Mitte Januar veröffentlichte die Stadt Hannover ein Faltblättchen unter dem Titel „Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache“. Seitdem herrscht Krieg in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Zumindest hätten das einige gern.
Die AfD behauptet, Hannover mache sich „bundesweit zum Gespött“, der Versicherungskaufmann und Ex-FDP-Bundesgeneralsekretär Patrick Döring ruft heroisch zum Widerstand in Form eines Boykotts der Empfehlungen auf und die CDU mutiert plötzlich zu einer sprachwissenschaftlichen Akademie: Wenn aus Lehrerinnen und Lehrern Lehrende werden, werde das Partizip falsch angewandt, „weil in Wahrheit Lehrer nur dann Lehrende sind, wenn sie vor der Klasse stehen.“
Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung selbstverständlich froh ist, endlich mal von CDU-Juristen erklärt zu bekommen, was Wörter „in Wahrheit“ bedeuten, bleibt sie gelassen. Weil es einfach zu offensichtlich ist, dass Rechtspopulisten eine Selbstverständlichkeit zu einem Kampf um Leben und Tod aufblasen und CDU und FDP, wie so oft, versuchen, auf den entgleisenden Zug aufzuspringen.
Denn es geht in dieser städtischen Broschüre weder um Literatur, noch um Privatkorrespondenz oder umgangssprachliches Geplauder, sondern um Sprachvorschläge für die Verwaltung. Und Verwaltungsdeutsch ist seit jeher alles andere – nur kein Deutsch. Ein Satz wie „Der Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung“ ist ein hässliches, widerwärtiges, sofortigen Brechdurchfall hervorrufendes Gebilde. Man könnte stattdessen schreiben: „Auch wenn Sie Widerspruch einreichen, müssen Sie zunächst einmal zahlen.“ Macht man aber nicht. Gern bekäme man auch erklärt, was sich „in Wahrheit“ hinter Wörtern wie „Spontanvegetation“, „Schrammbord“ oder „Lichtraumprofil“ verbirgt.
Die Broschüre versucht lediglich, eine Sprache zu verwenden, die niemanden aufgrund des Geschlechts ausschließt. Dazu wird unter anderem empfohlen, statt „Rednerliste“ „Redeliste“ zu benutzen oder statt der Formulierung „Protokollführer ist“ künftig „das Protokoll schreibt“. Und wenn keine neutrale Variante möglich ist, wird die Benutzung des „Gendersternchens“ nahe gelegt. Was an dem Wort „Kolleg*innen“ schlimmer sein soll als an „Sprachstandsfeststellungsverfahren“ kann wahrscheinlich nur ein Tweedjackenträger verstehen.
Mein liebstes „genderismuskritisches“ Argument ist übrigens das empörte: „Als wenn wir keine anderen Probleme hätten!“ Was soll man darauf sagen? Vielleicht: Nur zu, ihr Spacken! Kümmert euch um die anderen Probleme, aber dalli: Klimawandel, Kinderarmut, Mietwucher, Steuerflucht, Rassismus – und wenn ihr dann noch Zeit habt, könnt ihr euch über die Binse aufregen, dass Sprache sich nun mal verändert. Oder darüber, dass es morgens hell und abends dunkel wird.
27 Feb 2019
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