taz.de -- „Berlin Science Week“: Quallen am Bahnsteig
Aufregende Wissenschaft: Das Wissenschaftsfestival „Berlin Science Week“ will erneut Spitzenforschung unter die interessierten Laien bringen.
„Mind the gap!“, warnt die U-Bahn-Stimme täglich zigtausendfach die in- und ausländischen Fahrgäste: Vorsicht an der Bahnsteigkante. Am 8. November wird die Durchsage leicht anders klingen: „Mind the Lab“. Will sagen: Obacht – die Wissenschaft fährt ein im Berliner Untergrund. In fünf BVG-Stationen jedenfalls verwandelt sich der Tiefbahnhof dann in ein kleines Forschungslabor.
„Wir wollen Menschen direkt mit aufregender Wissenschaft konfrontieren“, sagt Carsten Hucho vom [1][Paul-Drude-Institut] (PDI), einem Physik-Institut der Leibniz-Gemeinschaft am Hausvogteiplatz. „Aber Wissenschaft kann brillant und gesellschaftlich relevant sein, und dennoch wirkungslos bleiben, wenn sie nicht aktiv übertragen und vermittelt wird“, ist die Meinung des PDI-Abteilungsleiters für Technologie und Transfer. Mit verständlichen Experimenten wollen die Forscher daher den Fahrgästen in den U-Bahnhöfen Alexanderplatz, Friedrichstraße, Stadtmitte, Möckernbrücke und Rathaus Steglitz zwischen 14 bis 20 Uhr die Wartezeit verkürzen. Das PDI selbst wird am Alexanderplatz einen Einblick in die Welt der Nanotechnologie geben. Dagegen wird in Stadtmitte zum Beispiel gezeigt, wie man Licht auf einem Förderband aus Schallwellen transportiert.
„Mind the Lab“, das neue Format von Wissenschaftskommunikation, importiert aus Griechenland, ist eines von 111 Events der [2][„Berlin Science Week“], die vom 1. bis 10. November quer durch die Stadt stattfinden. Die Veranstaltungsreihe sieht sich als Wissenschaftsfestival, das kleine Vorträge und große internationale Konferenzen, wie den Weltgipfel der Forschungsmuseen, unter ein Marketing-Dach stellt.
Organisiert wird die Wissenschaftswoche von der gemeinnützigen Falling Walls Foundation, die vor zehn Jahren mit der jährlichen Wissenschaftskonferenz „Falling Walls“ zum Mauerfall am 9. November ein international stark beachtetes Berlin-Event geschaffen hat. Mit der Science Week soll die internationale Strahlkraft der Berliner Forschung gesteigert werden. Noch etwas schüchtern ist bisweilen von einem „Davos der Wissenschaft“ an der Spree die Rede.
Senat lässt sich das was kosten
Aber auch die nicht-wissenschaftliche Bürgerschaft soll erreicht werden. „Die Berlin Science Week ist ein wahres Festival der Wissenschaft, das Stadtgesellschaft und Spitzenforschung ins Gespräch bringt“, sagt Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin und zugleich Fachsenator für Wissenschaft und Forschung. Der Senat lässt sich das auch was kosten: Mit 200.000 Euro wird die Science Week in diesem Jahr aus dem Landeshaushalt gefördert; für das kommende Jahr steht der gleiche Betrag bereit. In 2017 zogen die damals rund 60 Veranstaltungen gut 15.000 Teilnehmer an. In diesem Jahr wird mit einer Verdoppelung gerechnet.
Die Themen reichen über alle Disziplinen, aber mit 31 Veranstaltungen hat sich die Digitalisierung in diesem Jahr einen Spitzenplatz erobert. Zum Auftakt am 1. November beschäftigt sich die [3][Humboldt-Universität Berlin] in ihrer „Next Frontier Debate“ mit der Frage, wer in einer Welt, die zunehmend von Algorithmen und Daten beeinflusst wird, eigentlich die Kontrolle hat. Auch die Blockchain-Technik und Cybersecurity stehen mehrfach auf dem Programm. Das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) spielt in seinem „Digitalen Salon“ das Szenario eines Internet-Blackouts durch.
Die Science Week bündelt viele Berliner Wissenschaftseinrichtungen, zieht aber auch auswärtige Einrichtungen an. Die [4][Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich], eine der führenden technischen Universitäten weltweit, ist zum zweiten Mal als internationaler Partner mit dabei. Ihre Veranstaltungen, unter anderem zur Quantentechnologie, thematisieren, wie neuen Technologien unsere Zukunft prägen werden. „Wir nutzen die Berlin Science Week als Plattform, um der Welt zu zeigen, dass Universitäten ideale Innovationszentren für die schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit sind“, sagt Gisbert Schneider, zuständig für die Auslandsbeziehungen. Mit vier Events sind die Schweizer sogar häufiger im Programm als der „Platzhirsch“ TU Berlin, der sich etwas rar macht.
Auch knapp zehn Veranstaltungen mit Öko-Bezug werden angeboten. Die größte davon ist der internationale Kongress „Our Future Water“, der im Interconti darüber berät, wie wir Wasser für heutige und zukünftige Generationen sichern können. Eine Neuerung ist die verstärkte Beteiligung ausländischer Botschaften in Berlin, die die Wissenschaftsleistungen ihrer Länder darstellen. So informiert die französische Botschaft zum Thema Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen, wozu sich auch der Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn angemeldet hat.
1 Nov 2018
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Corona zwingt die Wissenschaft ins Internet. Zwei große Berliner Science-Events werden dieses Jahr vollständig ins Netz verlegt.
Der Physiker Steve Albrecht erhält den Preis des Senats als bester Nachwuchswissenschaftler. Er will damit der siechenden Industrie Impulse geben.
Mit der Berlin Science Week feiert die Wissenschaft ein zehntägiges Festival. Das startet am 1. November – und ist auch Stadtmarketing.
Quallenschleim als Filter von Mikroplastik? Wissenschaftler sehen Chancen, Quallen auch als Dünger, Nahrungsmittel oder in der Kosmetik einzusetzen.
Kommunikationsexperten der Hoschuleinrichtungen und Forschungsinstitute sind unzufrieden. Sie erreichen oftmals ihr Publikum nicht.
Wen interessiert's? Wissenschaftsinitiativen suchen neue Wege, wie sie ihr Anliegen einem möglichst breiten Publikum vermitteln können.
Die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg warnt vor steigenden Mieten in Spandau. Gerade dort sollten die Menschen geschützt werden.
Das interdisziplinäre DICE-Festival rückt Frauen, nicht-binäre und trans Künstler*innen in den Fokus. An verschiedensten Orten in Neukölln.
Forscher finden zum ersten Mal Mikroplastik im menschlichen Stuhl. Vor allem die Vielfalt der Kunststoffe überrascht.