taz.de -- Digitalisierung in der Kirche: Ausflug ins Neuland
Zur Eröffnung einer Themenwoche zur digitalen Zeitenwende stand in der Hamburger Nikolai-Kirche ein Roboter … nein, nicht auf der Kanzel. Aber beinahe.
Hamburg taz | Am Ende leuchteten seine erhobenen Hände: In der 1962 eingeweihten, mithin jüngsten unter Hamburgs fünf Hauptkirchen, St. Nikolai am Klosterstern, trat am Sonntag der weltweit erste „Segensroboter“ auf. Entsandt hatte den protestantischen Promi die Nordkirche, weil so ein Ding denkbar gut passt zum Thema ihrer damit eröffneten „Akademiewoche“, der achten insgesamt: Die [1][widmet sich noch bis zum 4. November der Digitalisierung].
Eigentlich ist der [2][putzig seine Augenbrauen hebende Gast-Segner] ein umgemodelter Geldautomat, ersonnen vom hessen-nassauischen Pfarrer Fabian Vogt und seinem damals 13-jährigen Sohn, realisiert vom Künstler Alexander Wiedekind-Klein. Und während er eher als Gimmick durchgeht, wenn auch eines, an dem sich gestern die Geister schieden, war etwas anderes an diesem Gottesdienst vielleicht bedeutender: Wer nicht selbst zugegen war, konnte, Internetzugang vorausgesetzt, dank [3][Livestream] auch vom Krankenlager oder Urlaubsstrand aus zusehen und mitreden. Solches Dabeisein ohne physische Anwesenheit aber: Angesichts der demografischen Entwicklung, in den eigenen Gemeinden wie auch insgesamt, muss so etwas die Kirche interessieren.
Was dann hereinkam, waren anfangs Grüße aus nah und fern, vereinzelte Liebeserklärungen an die Pastor*innen, später auch ein wenig Kritik am Neumodisch-Technischen und schließlich Anregungen, für wen man beten möge. Ein Redaktionsteam sichtete den Input von zeitweise mehr als zweihundert online Mitmachenden, schickte ihn weiter auf die Tablet-Computer der Pastor*innen, und die wählten dann aus, was im Kirchenraum für alle sichtbar projiziert wurde.
Das alles nicht ohne eine charmante Dimension von Fremdeln: Da hieß es auch mal, man habe „einen Twitter“ gelesen, und an anderer Stelle mussten jüngere Anwesende klären helfen, was genau es bedeute, wenn etwas als „lit“ bezeichnet wird, also im guten Sinne erleuchtet. Dass man nicht eben zur Avantgarde zähle in solchen Dingen, das hatte Jürgen Heilig von der veranstaltenden Evangelischen Akademie vorab eingeräumt: Kirche habe „hier wahrscheinlich einen Nachholbedarf“, sagte er mit Blick auf eine Veranstaltung zum „späten Interesse der Kirchen an den Chancen digitaler Kommunikation“.
Der Woche, für die sich die Akademie mit anderthalb Dutzend Partner*innen zusammen tat, geht es aber auch um etwas anderes: „Wir sind ja keine IT-Fachleute“, sagt Heilig. „Aber wir bringen Kompetenz mit, was gesellschaftlichen Diskurs angeht und hinsichtlich der Analyse und Reflexion der Fragen, die Menschen bedrängen.“
28 Oct 2018
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Menschen in Deutschland sind nicht technikfeindlich, wie oft kolportiert wird. Eine Umfrage zeigt jedoch, dass Skepsis und Kritik verbreitet sind.
Entwickeln überwiegend weiße Männer neue Technologien, steigt die Gefahr von Diskriminierung – ein Thema für die Hamburger Computerethikerin Judith Simon.
Forscher entwickeln Roboter für die Pflege von älteren Menschen. Ist das eine gute Idee?
Forscher untersuchen, wie Roboter in der Altenpflege eingesetzt werden können. Dafür ist vor allem eines nötig: mehr Akzeptanz.
Der Roboter kann Menschen nicht ersetzen, aber unterstützen, sagt Heiner Friesacher. Dazu müssen sich Forscher aber mehr mit Pflegeberufen beschäftigen.
Die evangelische Kirche versucht aus der christlichen Poetry-Slammerin Jana Highholder eine Influencerin zu basteln. Das Ergebnis ist … ungewohnt.
In der Pflege gibt es zu wenige Fachkräfte. Roboter könnten den Notstand lindern. Was halten SeniorInnen von der Idee?
Der Philosoph Luciano Floridi warnt: Wir passen unser Leben zu sehr der digitalen Welt an – und verlieren die Freiheit, die Gesellschaft zu verändern.
Vieles in unserem Alltag wird von Algorithmen geregelt. Wir vertrauen auf ihre Neutralität. Dabei entscheiden sie nicht immer fair.
Die Steuerung unserer Existenz durch die Giganten des Internets ist die logische Konsequenz eines Prozesses, der mit der Aufklärung begann. Doch wie können wir ihr entkommen?