taz.de -- Mauerradweg in Berlin: Geschichts-Erfahrung mit Lücken
Der Mauerradweg auf dem alten Grenzstreifen rund um Westberlin ist in desolatem Zustand. Rot-Schwarz hat ihn vernachlässigt. Der Beginn der Sanierung ist offen.
„Where is the wall?“ Fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist dies oft die erste Frage vieler Touristen, wenn sie in Berlin ankommen. Der Wunsch, die jüngste Geschichte anschaulich nachvollziehen zu können, ist weiterhin untrennbar mit dieser Stadt verbunden. Allerdings ist von der Mauer nicht mehr viel zu sehen. Zu groß war die Euphorie über ihr Ende 1989 und 1990, als dass jemand sie damals umfassend konservieren wollte.
Umso erstaunlicher, dass das Land ausgerechnet jene Attraktion verfallen lässt, auf der die Dimension des einstigen Grenzwalls im wahrsten Sinne des Wortes erfahrbar wird: den Mauerradweg. Die rund 160 Kilometer lange Route entlang des alten Grenzstreifens rund um Westberlin wurde ab 2001 auf Initiative des grünen Abgeordneten Michael Cramer eingerichtet. Ganz vollständig war der Weg nie, weil sich einige Eigentümer weigern, ihre Grundstück dafür herzugeben. Auch fehlen immer mal wieder kleine Teilstücke, wo man vom Radweg auf die Straße ausweichen muss.
Aber in den vergangenen Jahren ist die Touristenattraktion regelrecht vernachlässigt worden. Das zeigt ein Zwischenbericht der Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr für die Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Ende Mai, entstanden auf Druck des Abgeordnetenhauses.
Danach wurde zwar 2010 ein sehr detailierter Plan von der landeseigenen Grün Berlin GmbH erstellt, auf welchen Abschnitten des Mauerradwegs „kurzfristig“, „mittelfristig“ und „langfristig“ Mängel behoben werden müssten. Demnach waren fast zehn Kilometer, sechs Prozent des Gesamtwegs, mit der Priorität „Rot“ versehen, da dort „durch erhebliche Mängel Unfallgefahr oder die Gefahr der Schädigung des Fahrrads besteht“.
Laut Verkehrsverwaltung wurden allerdings seitdem lediglich knapp fünf Kilometer Radweg ausgebessert. Und keine dieser Maßnahmen erfolgte unter der SPD-CDU-Regierung von 2011 bis 2016.
„Der Mauerweg ist in der gemeinsamen Regierungszeit von SPD und CDU sträflich vernachlässigt worden“, kritisiert der grüne Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar, von 2011 bis 2016 Mitglied des Abgeordnetenhaus. „Das muss nun nachgearbeitet werden.“ Tatsächlich hat sich Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag Ende 2016 dazu bekannt, „gemeinsam mit dem Land Brandenburg die schadhaften Stellen des Mauerwegs zu beseitigen und die Defizite zu beheben“. Uneinig ist man sich jedoch, wie das geschehen soll.
Gelbhaar fordert, den Weg unter Denkmalschutz zu stellen: „Den Mauerweg in seiner Gesamtheit als ein Stück Weltgeschichte zu sichern, geht langfristig nur so.“ Die Vernachlässigung unter der rot-schwarzen Regierungs sei ein Beleg dafür. Gelbhaar will den Weg als „sogenannten Denkmalbereich“ unter Schutz stellen; damit sei gewährleistet, dass auch künftig Veränderungen möglich sind, etwa Straßenübergänge sicher zu gestalten.
Die Senatsverkehrsverwaltung kommt allerdings zu einem anderen Schluss. Den Weg als Denkmal auszuweisen sei langfristig die falsche Strategie, da „hierdurch eine weitere Entwicklung des Mauerweges erschwert würde“, schreibt sie in ihrem Bericht.Noch deutlicher äußert sich das Landesdenkmalamt Berlin: Ein Denkmalschutz für den Weg sei gar nicht möglich, schreibt es auf Anfrage.
Denn: Erstens müssten Denkmale aus der Vergangenheit stammen; dies sei bei dem nach 2001 angelegten Weg nicht der Fall. Zudem müssten sie „physische Gegenstände sein und als Zeugen der Vergangenheit historische Substanz“ aufweisen. Das Brandenburger Landesdenkmalamt teile diese Einschätzung.
Der Verkehrsexperte der SPD im Abgeordnetenhaus, Tino Schopf, hält die Einschätzung der Senatsverwaltung hingegen für nachvollziehbar. Wichtig sei ihm, „die nötigen Maßnahmen auf dem Mauerweg so schnell wie möglich umzusetzen.“
Das wird teuer. Die Verkehrsverwaltung rechnet mit knapp zehn Millionen Euro Kosten, etwa ein Drittel mehr als noch 2010 von der Grün Berlin GmbH veranschlagt. Schopf drängt dennoch darauf, das Projekt schnell anzugehen, sonst werde es am Ende noch teurer. Denn: „Die Erinnerung an die Todesopfer der SED-Diktatur darf man nicht so verlottern lassen.“
In diesem Jahr wird daraus jedoch nichts mehr. Angesichts der „notwendigen umfangreichen Bestandserhebungen“ wird die Senatsverwaltung für Verkehr erst Ende Dezember ihren endgültigen Bericht vorlegen und darlegen, welche Maßnahmen nötig sind.
Gelbhaar will derweil den Bund stärker in die Pflicht nehmen, schließlich sei der Eigentümer mehrerer Mauergrundstücke: „Ich werde die Bundesregierung und insbesondere die Kulturstaatsministerin fragen, ob in Zukunft mehr Engagement zu erwarten ist.“
17 Jul 2018
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