taz.de -- OECD-Studie zu sozialer Mobilität: Arm bleibt arm und reich bleibt reich

In Deutschland wird es schwieriger, sozial aufzusteigen. Das zeigt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit.
Bild: Von dort, wo ihr jetzt seid, kommt ihr nicht mehr weg – so sind die Verhältnisse

BERLIN taz | 50 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass der Bildungsstand der Eltern die eigenen beruflichen Chancen mitbestimmt. Das zeigt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), die am Freitag erschienen ist. Der [1][Bericht illustriert die Entwicklung der sozialen Mobilität] in den 35 OECD-Mitgliedsstaaten und zeigt: Tatsächlich hängt die wirtschaftliche Situation in Deutschland stark vom Elternhaus ab.

„In Deutschland könnte es sechs Generationen dauern, bis die Nachkommen einer einkommensschwachen Familie das Durchschnittseinkommen erreichen“, heißt es im Bericht. Damit dauert der Aufstieg in der Bundesrepublik eine Generation länger als in den 35 Mitgliedsstaaten der OECD durchschnittlich – und sogar vier Generationen länger als zum Beispiel in Dänemark.

Auch was die soziale Mobilität auf Lebenszeit, also innerhalb einer Generation, anbelangt, ist die Entwicklung bedenklich: 58 Prozent derjenigen mit dem niedrigsten Einkommen verbleiben im Zeitraum von vier Jahren auch in dieser Gruppe. Die obersten 20 Prozent der Einkommensverteilung halten sich sogar in 74 Prozent der Fälle an der Spitze.

Die besonders Reichen bleiben also mit großer Wahrscheinlichkeit besonders reich – und die besonders Armen bleiben arm. In den 1990er Jahren waren es immerhin nur 68 Prozent der Einkommensstarken, die in dieser Gruppe geblieben sind – das sind immerhin 6 Prozent weniger.

Grund für diese Tendenz sieht Maria Lenk, Geschäftsführerin der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, auch in den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. „Wir beobachten, dass die Menschen heutzutage mit ganz anderen Problemen konfrontiert sind“, sagte sie der taz. „Gerade befristete Verträge, Arbeit in Teilzeit, steigende Miet- und Wohnpreise belasten vor allem das Portemonnaie von jungen Leuten und schränken die soziale Mobilität ein.“

Mehr in Bildung investieren

Auch was Bildung und Berufsstatus anbelangt, zeigt sich der Mangel an Durchlässigkeit zwischen den sozialen Schichten. Während über die Hälfte aller Kinder in Deutschland, deren Eltern über einen Hochschulabschluss verfügen, selbst einen solchen Abschluss erreichen, sind es nur 11 Prozent derjenigen, deren Eltern schlechter ausgebildet sind.

Um die soziale Mobilität langfristig zu erhöhen, empfiehlt die OECD, stärker in Bildung zu investieren. Auch Stiftungs-Geschäftsführerin Lenk wünscht sich von der Politik mehr Interesse an den Belangen von jungen Menschen: „Im Wahlkampf stehen oft Themen wie Rente, Pflegenotstand und Altersarmut im Vordergrund. Bei der Bekämpfung von Kinderarmut und der Schaffung von sozialem Wohnraum fehlt aber eine starke Lobby.“

Die OECD sieht außerdem einen Zusammenhang mit zu niedrigen Löhnen in Deutschland und der relativ hohen Langzeitarbeitslosigkeit. Auch das dreigeteilte Schulsystem und der zögerliche Ausbau in der Kinderbetreuung spiele eine wichtige Rolle, so der Bericht.

15 Jun 2018

LINKS

[1] http://www.oecd.org/berlin/publikationen/social-mobility.htm

AUTOREN

Miriam Schröder

TAGS

Schwerpunkt Armut
soziale Ungleichheit
Einkommen
Bildung
OECD
OECD
Frühkindliche Bildung
Schwerpunkt Armut
Familie
Kinderarmut
Sozialer Wohnungsbau
Davos
Einkommensverteilung

ARTIKEL ZUM THEMA

OECD-Bericht zu Bildungsgerechtigkeit: Postleitzahl entscheidet über Zukunft

Die Chancengleichheit für Kinder in Deutschland hat zugenommen. Doch noch immer gilt: Wer einmal als „abgeschrieben“ gilt, bleibt es.

Bildungsbericht der OECD: Eltern prägen Chancen lebenslang

Je höher gebildet die Eltern, desto besser die Chancen der Kinder, zeigt der jüngste Bildungsbericht der OECD. Sehr stark ist auch der Einfluss der Herkunft.

Bildungs- und Teilhabepaket „BuT“: Bildungspaket wird wenig genutzt

Rund 1,5 Millionen Menschen nutzen Bildungs-Leistungen nicht, obwohl sie Anspruch darauf hätten. Gründe dafür gibt es viele.

Warnung vor Dunkelziffer: Kinderarmut höher als befürchtet

1,4 Millionen mehr Kinder als angenommen sollen unter Armut leiden. Weil ihre Familien keine Staatshilfe beziehen, fehlen sie in der Statistik.

Bertelsmann-Studie zu Kinderarmut: Arbeitslose Mütter, arme Kinder

Sind Frauen nicht erwerbstätig, steigt das Risiko, dass ihre Kinder verarmen, signifikant. Das betrifft besonders stark Alleinerziehende, aber auch Frauen in Paarbeziehungen.

Debatte Wohnungspolitik: Die Armen wohnen ganz weit draußen

Der Wohnungsbau in den Millionenstädten wirft heikle Fragen auf. Auch innerhalb der linken Mittelschicht, die um bezahlbare Wohnungen kämpft.

Weltwirtschaftsforum in Davos: Gehälterungleichheit nimmt zu

Die Chefgehälter entfernen sich immer mehr vom normalen Arbeitnehmereinkommen. Das Weltwirtschaftsforum schlägt Alarm.

Weltweite Einkommensverteilung: Ungleichheit gewachsen

Fast überall auf der Welt geht die Einkommensschere auseinander. Hauptursache ist die Privatisierung öffentlichen Vermögens, so das Ergebnis einer Studie.