taz.de -- Gletschersterben in Deutschland: Kaum noch was übrig vom ewigen Eis

Die Große Koalition tagt in Gletschernähe auf der Zugspitze. Über Klimapolitik wird nicht gesprochen. Ein großes Versäumnis.
Bild: Noch kann man hier Ski fahren: Der Zugspitz-Gletscher

Die bayerischen Alpengletscher verlieren stark an Volumen. Neuen Daten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zufolge haben vier von fünf deutschen Gletschern seit 1950 mehr als die Hälfte ihrer Substanz verloren. Der südliche Schneeferner hatte 2014/15 gerade noch sechs Prozent des damaligen Volumens, das Blaueis noch 15 Prozent. Der Höllentalferner hat allein zwischen 1999 und 2014 die Hälfte seiner Substanz verloren.

Bei Gletschern handelt es sich um natürliche, große und zusammenhängende Eismassen, die unter anderem als Süßwasserspeicher dienen. Deren Abschmelzen ist nach einhelliger Auffassung der Wissenschaft eine Folge des von Menschen verursachten Klimawandels. Weil Gletscher sensibel auf Erwärmung reagieren, spricht man auch von einem „Fieberthermometer“ des Weltklimas. In vielen Teilen der Welt bedroht das Schmelzen der Gletscher die Trinkwasserversorgung. Auch in der Antarktis und in Grönland schmilzt das „ewige“ Eis rapide ab.

Die Daten über die deutschen Gletscher haben die Grünen im Bundestag anlässlich des Spitzentreffens der Regierungsfraktionen angefragt und veröffentlicht, das am Montag auf der Zugspitze stattfand – in unmittelbarer Nähe der Alpengletscher. Die Klimapolitik von Union und SPD wird von Umweltschützern scharf kritisiert, denn die Regierungsparteien haben sich im Koalitionsvertrag vom deutschen Klimaziel verabschiedet, die CO2-Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu verringern. Auch für die längerfristigen Ziele gibt es bisher keine konkreten Maßnahmen.

Die schlimmsten Braunkohlekraftwerke sofort abschalten

Nach Ansicht der Grünen belegen die schmelzenden Gletscher das „klimapolitische Totalversagen“ der Bundesregierung. Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte am Montag: „Die eigenen Klimaziele für 2020 werden aufgegeben, die Vorreiterrolle in der EU ist dahin.“ Um gegenzusteuern müssten Union und SPD die schlimmsten Braunkohlekraftwerke unverzüglich abschalten und aufhören, „die dreckigen Segmente der Autoindustrie aus falsch verstandener Solidarität zu protegieren“.

Direkte Konsequenzen hat der Weckruf der Grünen vermutlich nicht. Auf dem Gipfeltreffen in den Alpen spielt die Klimapolitik jedenfalls keine Rolle. Inhaltlich wollen Union und SPD sich über die geplanten Förderungen beim Wohnungsbau verständigen, unter anderem das geplante Baukindergeld von bis zu 12.000 Euro pro Kind. SPD-Chefin Andrea Nahles sagte, außerdem sollten die Mieterrechte unbedingt verbessert werden.

Möglicherweise nutzen die Abgeordneten die gemeinsame Sitzung aber zumindest, um sich über die Kommission zu verständigen, die noch vor der Sommerpause ein Konzept für den Kohleausstieg entwickeln soll. Bisher können sich Umwelt- und Wirtschaftsministerium nicht über Vorsitz und Mitglieder des wichtigen Gremiums einigen.

7 May 2018

AUTOREN

Jörg Wimalasena
Malte Kreutzfeldt

TAGS

Gletscher
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Erderwärmung
Grönland
Umweltschutz
Eisschmelze
Gewerkschaft
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Milo Rau

ARTIKEL ZUM THEMA

Ausstellung über Grönland: Jäger, Missionare und Schamaninnen

Von der Forschung zur Graphic Novel: Eine kleine Kulturgeschichte Grönlands wird in den Nordischen Botschaften in Berlin ausgestellt.

Deutschlands Klimaziel für 2020: Versprechen offiziell gebrochen

Deutschland verfehlt sein Klimaziel für 2020 um 100 Millionen Tonnen CO2. Die Emissionen sinken um 32 statt 40 Prozent. Die Gründe sind vielfältig.

Kaum noch „altes Eis“ am Nordpol: Die Arktis hat ein Demografieproblem

Laut einer Studie sind nur noch zwei Prozent des Arktiseises älter als vier Jahre. Forscher sehen darin eine Gefahr für Klima und Ökosysteme.

DGB-Bekenntnis zu Klimazielen: Druck auf den Gewerkschaftsbund

Vor dem DGB-Kongress sollen sich die Gewerkschaften zu deutschen Klimazielen bekennen. Das war zuvor aus einem Antragsentwurf gestrichen worden.

Anti-Kohle-Demo vor dem Klimagipfel: 25.000 protestierten in Bonn

Ein breites Bündnis hatte dazu aufgerufen, für eine Ende der Kohleverstromung auf die Straße zu gehen. Es kamen weit mehr Menschen als erwartet.

Klimawandel vor dem Klimagipfel: Immer Meer

Der Klimawandel lässt den Meeresspiegel weltweit schneller steigen als gedacht. Welche Regionen sehr stark betroffen sind, zeigen aktuelle Daten.

Serie: Wie weiter, Germans (11): „Wir sind Arschlöcher durch Geburt“

Milo Rau veranstaltet in Berlin das „Weltparlament“. Ein Gespräch über globale Gerechtigkeit und Ausbeutungskapitalismus.