taz.de -- Kolumne Eier: Fünf fürchterliche Jahre

„Involuntary Celibates“ geben Frauen die Schuld dafür, keinen Sex zu haben – und machen Sex zum Wichtigsten. Genau da liegt das Problem.
Bild: Terrorismus ist nicht mein Ding, ich schwöre!

Wir haben jetzt also „Incels“, ja? Ich möchte kurz betonen, dass ich als unfreiwilliger Single mich von jeglicher Form von terroristischer Gewalt distanziere. Okay?

Für alle, die jetzt erst zuschalten: [1][„Incels“ nennen sich frustrierte Männer, die in Onlineforen den Frauen den Krieg erklären.] Also, nicht erklären im Sinne von verständlich darlegen („Guck mal, Perle, du musst mit der Artillerie hinten absichern und dann mit der Infanterie über die Flanke kommen“), sondern erklären im Sinne von ausrufen („Sieg dem Patriarchat!“).

Diese „Involuntary Celibates“ geben Frauen die Schuld dafür, dass sie keinen Sex haben – und machen gleichzeitig Sex zum Allerwichtigsten, was es für ihr Selbstwertgefühl gibt. Der Attentäter von Toronto soll in solchen Foren zu seiner Tat inspiriert worden sein.

[2][Männliche Gegenwehr zum Feminismus besteht leider nicht nur aus Edelfedern, die in Feuilletons über ihren schweren Stand als (weißer) Mann klagen.] Das ginge ja noch. Damit lässt sich umgehen: Dreimal vorsichtig die Augen entgegen dem Uhrzeigersinn rollen, Fisch in die Zeitung einwickeln, und weitermachen.

Klassische Regeln der Männlichkeit

Was mich dagegen beunruhigt, sind organisierte Männerbünde. Sie finden in besagten Onlineforen statt, oder bei Treffen von sogenannten Pick-up-Artists – Lifecoaches, die Kurse in übergriffigem Verhalten geben. In Netzwerken von Gamer-Nerds, die sich dazu verabreden, Frauen mit Drohungen zu bombardieren. In maskulinistischen Bruderschaften, die mitunter die Nähe zu neurechten Bewegungen suchen.

Diese Männer bauen sich Echokammern, Schutzräume, in denen sie alle Fortschritte des letzten halben Jahrhunderts in Sachen Gender zum Problem erklären. Innerhalb dieser Mikrokosmen gelten klassische Regeln der Männlichkeit – Initiationen, Komplizenschaft, Einzelkämpfertum, Hierarchien.

Der ganze Mist, der in der Schule schon genervt hat und bei dem Männlichkeit sich hauptsächlich durch den Wettbewerb mit (und um) Frauen definiert. Über Sex-Wettrennen, wenn man ehrlich ist.

Ich kann null nachvollziehen, warum man sich diese Männlichkeit überhaupt antut. Als ich in die achte Klasse kam, wurde plötzlich alles ganz schlimm – weil es auf einmal nur noch darum ging, wer schon mal gevögelt hatte und mit wem und ob sie es geil fand.

Fünf Jahre Frust

Wobei, nein, Letzteres war eigentlich kein Thema. Klar war, dass fast alle außer mir schon mal hatten (man glaubt ja so einiges mit 13). Es folgten fünf Jahre Frust wegen meiner fürchterlichen Jungfräulichkeit. Fünf Jahre gekonntes Umschiffen des Themas, um bloß nicht aufzufliegen.

Das Einzige, was mir damals half, war, mich mit den Jungs zu umgeben, die auch noch Jungfrauen waren. Die geteilte Unzulänglichkeit war wie ein Schutzraum …

… oh. Ich glaube, ich habe gerade verstanden, was den Reiz dieser Incel-Bewegung ausmacht. Verdammt. Aber Terrorismus ist nicht mein Ding, ich schwöre!

6 May 2018

LINKS

[1] /!5499524/
[2] https://www.zeit.de/2018/15/metoo-debatte-maenner-feminismus-gleichberechtigung

AUTOREN

Peter Weissenburger

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