taz.de -- „Echo“ für antisemitische Rapper: Verantwortung? Keine Kategorie

Trotz gewaltverherrlichender und sexistischer Texte von Kollegah und Farid Bang wird ihr Album beim „Echo“ zum „HipHop-Album des Jahres“ gekürt.
Bild: Sexistische, antisemitische Texte? Wenn's die Hörer so wollen…

Zu einem denkwürdigen Ereignis ist es am Donnerstagabend in den Messehallen unter dem Berliner Funkturm gekommen. Hier wurden die Echos verliehen, die Preise der deutschen Musikindustrie. Wie in jedem Jahr, war es auch diesmal schon vor Verleihung zu einer Debatte um die nominierten Künstler gekommen: Thema war das Album „Jung, brutal und gutaussehend 3“ der Rapper Kollegah und Farid Bang. Es war in zwei Kategorien für den „Echo“ nominiert, unter anderem als „Album des Jahres“, weil es zu den fünf meist verkauften Alben des letzten Jahres in Deutschland gehörte. Aus diesen wählte wiederum eine Jury den Preisträger aus.

Um es gleich zu gestehen: Ich war selbst in der Jury und habe zwar nicht für Kollegah und Farid Bang gestimmt, aber mich über ihre Nominierung auch nicht weiter empört, das war eine Nachlässigkeit. Offen gesagt, hatte ich einfach keine Lust, mir den klanglichen Ausstoß der beiden von vorne bis hinten durchzuhören, sonst wäre mir auch aufgefallen, was nach der Bekanntgabe der Nominierungen [1][zum Thema wurde].

In dem Song „0815“ rappt Farid Bang nämlich: „Deutschen Rap höre ich zum Einschlafen/ Denn er hat mehr Windowshopper als ein Eiswagen, ah/ Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet/ Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“, das heißt, er hat so wenig Fett auf den Rippen wie sonst nur jemand aus dem KZ. In anderen Songs schwelgen die beiden in heiteren Gewaltfantasien, sie wollen Menschen, die ihnen nicht passen, mit einem „Sprengstoffgürtel“ massakrieren oder mit einem Lkw, „als wärst Du auf dem Weihnachtsmarkt“, oder mit einem Attentat „wie bei Charlie Hebdo“; oder anders gesagt: Sie finden alle Arten von Gewalttaten toll, bei denen Christen und Juden ums Leben kommen.

Warum wird so etwas zum „Album des Jahres“ nominiert, wurden die Veranstalter gefragt. Sie antworteten formal korrekt: Weil die deutschen Popmusikhörer so etwas lieben und es beim „Echo“ um die erfolgreichsten Alben geht – es sei denn, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat das Werk indiziert. Der „Echo“ schaltete dann immerhin seinen eigenen „Ethik-Rat“ ein, der sich von dem fraglichen Text distanzierte, aber kein Veto gegen die Nominierung von Kollegah und Farid Bang und ihren Auftritt einlegte.

Das alles am Holocaust-Gedenktag

Den Echo für des „Album des Jahres“ erhielten sie am Donnerstag zwar nicht, doch wurde ihr Werk zum „HipHop-Album des Jahres“ gekürt, und sie durften zum Abschluss des Abends einen Track daraus vortragen, vor einer Art Reichsparteitagskulisse mit großen, aus dem Bühnenhimmel herabgelassenen Bannern, flankiert von einer Armada vermummter Kämpfer mit Flammenwerfern; am Donnerstag wurde in Israel übrigens der Holocaust-Gedenktag begangen.

Die Echo-Veranstalter hatten vorab beteuert, die Debatte über Kollegah und Farid Bang „in die Show hineinzutragen“. Von ihnen selber war allerdings nichts zu hören. Lediglich Tote-Hosen-Sänger Campino sprach das Thema in der Dankesrede für seinen eigenen Echo an: Er sei selber stets ein Freund der popmusikalischen Provokation gewesen, aber man müsse wissen, wo die moralische Grenze verläuft, „und die Grenze ist überschritten, wenn es sexistisch ist, homophob, rechtsextrem, antisemitisch“.

Wer so redet, verfehlt freilich das Thema. Denn es geht Kollegah und Farid Bang nicht um Provokation, sie brauchen keinen Eklat, um ihre Musik unter die Leute zu bringen. Ihr Album wurde seit Dezember 200.000 Mal verkauft und über 30 Millionen Mal gestreamt, ohne dass es irgendeine nennenswerte Debatte über antisemitische oder sonstwie reaktionäre Textzeilen gegeben hätte. Die Wahrheit ist also noch viel trister: Die Hörer von Kollegah und Farid Bang, deren Zahl in diesem Land in die Millionen geht, stoßen sich nicht im Geringsten an Auschwitz-Witzen – und auch nicht an der atemberaubend abstoßenden sexistischen Sprache, die diese beiden Reimkünstler pflegen.

Zum Vergleich: Wir haben in Berlin gerade monatelang über die Frage diskutiert, ob [2][ein Gedicht an einer Hauswand stehen darf], in dem Frauen mit Blumen verglichen werden, oder ob das sexistisch ist und deswegen dringend übermalt werden muss. Kollegah rappt in dem Song „Ave Maria“, ebenfalls auf dem Echo-nominierten Album: „Dein Chick ist ’ne Broke-Ass-Bitch, denn ich fick’ sie, bis ihr Steißbein bricht.“ Bin ich der einzige, dem das irgendwie sexistischer vorkommt, als Frauen mit Blumen zu vergleichen? Aber hier: keine Debatte im Feuilleton, keine Debatte in der Öffentlichkeit, nichts.

Auf sonderbare Weise steht hierzulande noch der widerwärtigste Scheiß unter dem Gesinnungsschutz der vermeintlichen Kunstfreiheit, wenn er von Gangstarappern mit Migrationshintergrund kommt, das konnte man schon früher in vergleichbaren Fällen von Bushido bis Haftbefehl beobachten. Wozu das führt, kann man zum Beispiel auf Berliner Schulhöfen studieren, wo [3][die Zahl der antisemitischen Vorfälle steigt]. Abgesehen von wenigen, ihrerseits jüdischen Rappern schweigt die deutsche HipHop-Szene dazu, die Zunahme des antisemitischen Hasses ist ihr egal. Und das liegt nicht einmal daran, dass alle Beteiligten antisemitische Einstellungen pflegen. Es ist ihnen generell völlig egal, was sie mit ihren Texten – sagen wir mal – in den Köpfen von acht- oder zehnjährigen Grundschulkindern anrichten oder in der Gesellschaft im Ganzen.

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man mit Typen wie Kollegah eine ernsthafte politische Diskussion führen könnte. Im Zweifel fällt alles, was er rappt, in das Gehege der Kunstfreiheit oder es ist eben – die beliebteste Ausrede unter den Gangstarappern und ihren Apologeten – alles nicht so gemeint, wie es sich anhört. „Verantwortung“ ist für jemanden wie Kollegah keine Kategorie. Er ist lediglich ein zynischer Mensch, der auf seinen Zynismus sehr stolz ist.

Unverständlich bleibt aber, warum die versammelte deutsche Popkünstlerschaft dieser Sache so völlig gleichgültig gegenübersteht. Vor fünf Jahren, als die rechte Band Freiwild zum „Echo“ eingeladen war, gab es allseits Proteste. Nun kann man von Freiwild halten, was man will, aber Antisemiten sind sie jedenfalls nicht, und man wird in ihrem Werk keine Textzeilen finden, die auch nur annähernd so sexistisch sind. Der Protest gegen Freiwild war fraglos berechtigt, aber ein Protest gegen Kollegah und Farid Bang wäre mindestens so berechtigt gewesen. Warum ist er ausgeblieben?

Das Problem sind die hunderttausend Hörer

Es ist jedenfalls zu einfach, jetzt mit dem Finger auf die „Echo“-Veranstalter zu zeigen und ihnen die Nominierung von Kollegah und Farid Bang vorzuwerfen. Natürlich hätte man die beiden ausschließen können, aber das hätte ihnen nur wieder dabei geholfen, sich als Opfer zu inszenieren. Wichtiger wäre zunächst, sich in Erinnerung zu rufen, warum sie überhaupt für den „Echo“ in Frage kamen: Weil mehrere hunderttausend Menschen ihre Platte gekauft und Millionen von Menschen sie gern gehört haben. Dass das so ist, ist ein Problem, über das man nicht – wie bisher – milde hinwegsehen kann. Wir alle müssen da genauer hinsehen und hinhören. Auch wenn das Hören nun wirklich keinen Spaß macht.

13 Apr 2018

LINKS

[1] /Debatte-Antisemitismus-im-Deutschrap/!5498091
[2] /Streit-um-Gedicht-an-Hochschulfassade/!5476081
[3] /Debatte-Antisemitismus/!5494100

AUTOREN

Jens Balzer

TAGS

Antisemitismus
Sexismus
Rap
HipHop
Echo
Gangsta-Rap
Jürgen Trittin
Echo
Echo
Echo
Antisemitismus
Antisemitismus
Echo
Antisemitismus

ARTIKEL ZUM THEMA

IS-Shirt bei „Toptier Takeover“: Die Grenzen des Battle-Rap

Ein Kameramann bei einem großen Battle-Rap-Turnier trägt ein T-Shirt mit Logo des „Islamischen Staats“. Reagiert die Szene angemessen darauf?

Musikkritik mit Ex-Minister: Popsalon mit DJ Dosenpfand

Von Black Music über New Wave bis zum skandalösen Echo-Preis: Jürgen Trittin diskutiert in Berlin mit Jens Balzer und Tobi Müller.

Antisemitismus-Vorwürfe gegen Rapper: BMG stoppt Zusammenarbeit

Die Bertelsmann Music Group setzt die Kooperation mit Kollegah und Farid Bang aus. Ein halbherziger Einsatz gegen Antisemitismus.

Antisemitismus-Vorwürfe beim Echo: Gewinner von 2017 geben Preis zurück

Die Echo-Klassik-Preisträger aus dem Jahr 2017 haben ihren Preis zurückgegeben. Mit der Auszeichnung von Kollegah und Farid Bang toleriere der Echo Rassismus.

Nach Preisverleihung an Antisemiten: „Echo hat keine Berechtigung mehr“

Der Echo für die Rapper Kollegah und Farid Bang hat Empörung ausgelöst. Nun will nicht nur der Bundesverband Musikindustrie Konsequenzen ziehen.

Debatte Antisemitismusbeauftragter: Viel hilft nicht immer viel

Die Bundesregierung will Judenfeindlichkeit stärker bekämpfen. Das kann nur mit einer umfassenderen Antidiskriminierungspolitik gelingen.

Debatte Antisemitismus im Deutschrap: Ihr seid langweilig

Die Düsseldorfer Rapper Kollegah und Bang sind für den Echo-Preis nominiert. Schon öfter haben sie sich ekelhaft antisemitisch geäußert.

Antisemitismus im Deutschrap: Nicht zu schlimm für den „Echo“

Kollegah und Farid Bang rappen auf ihrem Album eine antisemitische Zeile. An ihren Echo-Nominierungen ändert dies nichts.

Debatte Antisemitismus: Progressive Vereinfacher

Muslime sind nicht „die Juden von heute“. Muslime sind „die Muslime von heute“. Am Judenhass sind nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse schuld.