taz.de -- Kommentar Antirassismus in Frankreich: Solidarität ohne Spaltung
Der Repräsentativrat der jüdischen Institutionen will weder Le Pen noch Mélenchon beim Gedenken dabei haben. Doch das greift zu kurz.
Wer darf sich am Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus beteiligen? Die Frage ist absurd, denn das ist Sache aller und schon gar nicht exklusive Angelegenheit der direkt Betroffenen. Möglichst breite Solidarität ist die einzige wirksame Waffe gegen Diskriminierung und Gewalt. Das sollte [1][gerade in Frankreich], wo antijüdische, antimuslimische oder auch antiasiatische Aggressionen besonders häufig vorkommen, eigentlich selbstverständlich sein.
Trotzdem hat sich nun der Vorsitzende des Repräsentativrats der jüdischen Institutionen (CRIF), Francis Kalifat, für eine selektive Solidarität ausgesprochen: Sowohl [2][Marine Le Pen und ihre Leute] vom rechtsextremen Front National (FN) wie auch der linke Jean-Luc Mélenchon von der France insoumise (FI) sind laut dem CRIF-Vorsitzenden bei der Gedenkfeier für die Ende letzter Woche [3][ermordete Jüdin] Mireille Knoll „nicht willkommen“. Die Begründung: FN-Gründer Jean-Marie Le Pen war mehrfach wegen antisemitischer Äußerungen oder Verharmlosung des Holocaust (als „Detail der Geschichte“) verurteilt worden. [4][Mélenchon] habe mit der extremen Linken zu einem „Boykott Israels“ aufgerufen und den Frankreichbesuch Benjamin Netanjahus gehässig kritisiert.
Damit werden extreme Rechte und radikale Linke auf dieselbe Stufe gestellt. Das ist völlig kontraproduktiv für den Kampf gegen den Rassismus, in dem Mélenchon und Le Pen nicht auf derselben Seite der Barrikade stehen. Kalifat selber musste im Radio einräumen, er habe ja nicht behauptet, dass Mélenchon wegen seiner Haltung zu Israel ein Antisemit sei. Marine Le Pen sucht dagegen seit Langem den Kontakt mit der nationalistischen Rechten in Israel. Natürlich hofft sie so auf einen definitiven Freispruch von den antisemitischen FN-Erbsünden. Das ist so durchsichtig, dass sie gewiss nicht mit Applaus der Antirassisten rechnen darf.
Die antirassistische Solidarität ist ein Anliegen, für das es keine Einladung braucht. Das Engagement jedes Einzelnen allein zählt, nicht die polemische Frage, wer rechts und links mitläuft.
28 Mar 2018
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Marion Maréchal-Le Pen möchte künftig nur noch Madame Maréchal genannt werden. Schert sie damit aus dem Front-National-Lager aus? Wohl kaum.
Vertreter der französischen Gesellschaft prangern einen „neuen Antisemitismus“ an. In einem Manifest kritisieren sie die „islamistische Radikalisierung“.
In nur fünf Jahren haben 30.000 Juden Frankreich verlassen – aus Angst um ihr Leben. In besorgniserregend kurzen Abständen werden dort Juden attackiert.
Franzosen demonstrieren nach dem Mord an der Jüdin Mireille Knoll in mehreren Städten gegen Antisemitismus. Doch dabei sind nicht alle willkommen.
Der neue Antisemitismus ist nicht harmloser als der alte. Ihn zu bekämpfen, kann der Integration des Islam nur nützen.
Die 85-jährige Holocaust-Überlebende Mireille Knoll wurde am Freitag tot aufgefunden. Die Ermittler gehen von einem antisemitischen Motiv aus.
Jüdische Verbände in London demonstrieren gegen Antisemitismus in der Labour-Partei. Abgeordnete solidarisieren sich mit dem Protest.
Die Antisemitismus-Debatte bei der britischen Labour-Opposition spitzt sich zu. Der Parteichef solidarisierte sich mit einem umstrittenen Künstler.
Ein Fall von vermutlich antisemitisch motiviertem Mobbing an einer Grundschule löst großes Echo aus – sogar Außenminister Heiko Maas (SPD) mischt sich ein.