taz.de -- Sanktion bei Arbeitslosengeld II: Schock-Brief vom Amt

Jobcenter sperrt Jugendlichem die Miete, der noch Zuhause wohnt. Mutter hat Angst vor Rauswurf. Pressestelle beruhigt, Miete für Wohnung würde weitergezahlt
Bild: Angst vorm Stigma: Wer mit Gutscheinen einkaufen muss, geht nicht gern in den Laden

Der Brief im Postkasten versetzte Eva L. in Panik. Die alleinerziehende Mutter wohnt mit ihren drei Kindern, 15, 18 und 21 Jahre alt, in einer 3,5 Zimmer Wohnung in Schnelsen. Für den ältesten Sohn, so schreibt diesem das Jobcenter, werde für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 2018 „ein vollständiger Wegfall des Arbeistlosengelds II festgestellt“. Und dies bedeutet, er bekommt statt 331 Euro Regelsatz nur Gutscheine im Gegenwert von 208 Euro im Monat. Und es soll keine Miete und keine Heizung gezahlt werden.

So liest jedenfalls die alleinerziehende Mutter den Brief. „Ich hab Sorge, dass sie uns hier rausschmeißen“, sagt sie zur taz. Denn ihr Sohn bekomme bisher ein Viertel der Miete, rund 250 Euro. „Ich weiß nicht, wie ich diese Summe drei Monate lang ersetzen soll“. Die 50-Jährige selbst ist derzeit krankgeschrieben.

Die Mutter ruft bei der Hotline des Jobcenters an, wie es seit Kurzem der [1][vorgesehene Weg] ist. „Dort konnten sie mir nicht weiterhelfen“, sagt L. Sie erfährt, dass ihre Sachbearbeiterin im Urlaub ist. Schließlich klingelt sie direkt bei der Jobcenter-Pressestelle durch.

Sozialberatung rät zum Widerspruch

Dort versucht die Sprecherin Kirsten Maaß ihr die Sorge zu nehmen. Die Miete werde in solchen Fällen weiter überwiesen, sagt die Sprecherin auch der taz. Denn es gebe dazu extra eine Fachanweisung der Arbeitsagentur. Üblicherweise werden die Kosten der Unterkunft durch die Anzahl der Mitglieder einer „Bedarfsgemeinschaft“ geteilt, also hier durch vier.

Für den Fall, dass eine dieser Personen wegen einer Sanktion keine Miete bekommt, sei dessen Unterkunftsanteil „auf die übrigen, nicht sanktionierten Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft umzulegen“, heißt es dort. Sprich: Die anderen drei bekommen mehr Miete.

Eva L. und ihr Sohn waren auch in der Sozialberatung des Kinder- und Familienzentrums Burgwedel. Dort riet man ihnen, auf jeden Fall Widerspruch gegen die Sperre einzulegen.

„Die Sperre ist sehr ungerecht“, sagt L. Denn ihrem Sohn wird vorgeworfen, dass er nicht, wie ihm auferlegt, zehn Bewerbungen geschrieben habe. „Das hat er aber gemacht. Nur ich habe den Fehler gemacht, sie für ihn zur Post zu bringen, bevor er die Adressen noch mal abschreiben konnte“, erklärt die Mutter. „Das habe ich beeidet.“ Die Jobcenter ließ sich davon nicht beeindrucken, dort will man Bewerbungsadressen sehen. Die Auskunft der Mutter sei zum Nachweis der Bemühungen nicht geeignet.

Kein Einzelfall in Hamburg

Ihr Sohn habe vielfältige Probleme und brauche Unterstützung statt Sanktion, sagt Eva L. „Es kann nicht sein, dass eine Sachbearbeiterin allein so eine harte Entscheidung trifft.“ Denn den Einkauf mit Gutscheinen empfinde er als demütigend. „Er hatte das 2016 schon mal“, erzählt L. „Da rief die Kassiererin bei Lidl durch den ganzen Laden zu einem Kollegen: ‚Wie ging das noch mal mit den Gutscheinen?‘.“

Zudem brauche ihr Sohn erst einen gültigen Personalausweis, um diese einzulösen. Und es fehlten 25 Euro für Strom. Alles Kosten, die nun irgendwie umgelegt werden müssen, weshalb auch die jüngeren Geschwister unter der Sperre leiden.

Eine aktuelle Anfrage der Linken belegt, dass dies kein Einzelfall ist (siehe Kasten). „Kinder werden für das Verhalten ihrer Eltern oder Geschwister in Sippenhaft genommen“, kritisiert Ensslen. „Das muss ein Ende haben.“

12 Mar 2018

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AUTOREN

Kaija Kutter

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