taz.de -- Deniz Yücels Texte und die AfD: Und dann gab es Stress

Wie es dazu kam, dass Deniz Yücel in der taz Deutschland den Untergang wünschte. Und warum die AfD das Gesicht dieses Deutschlands ist.
Bild: Nimmt sich die Rolle, wie er sie braucht: Deniz Yücel

Der Deniz-Strom ging so: Text kommt, irgendwer im Ressort sagt: Das gibt Stress. Und dann gab es Stress. In der Redaktionskonferenz. Auf dem Treppenflur. In Leserbriefen. Das kann man nicht sagen. Schon gar nicht SO. Das beleidigt mich/jeden intelligenten Menschen/die Kinder. Ihr müsst den mal ein wenig einhegen. Oder: nicht mehr schreiben lassen.

Wir interessierten uns nicht sehr dafür, die Rechten zu ärgern, das machte die taz schon gut. Die Grenzen dessen weiten, was innerhalb der Linken besprochen werden kann und wer reden darf, das wollten wir bei taz zwei.

Deniz hat uns alle herausgefordert. Mich auch. Wenn er sich in „Deutschland schafft sich ab“ über das Aussterben der Ostdeutschen besonders freute, sich über Namen lustig machte, mit denen es Menschen schon in der DDR nicht leicht hatten, merkte ich: Das ist dir überhaupt nicht so egal, wie du möchtest, da war etwas, der Ossi in mir wollte zurückschlagen gegen diese Wessi-Arroganz, wollte beißen, wollte solche Texte aus dem Blatt werfen.

Haben wir nicht gemacht.

Weil Deniz’ Texte lustig waren. Sprachlich schön. Weil sie sich klickten wie nichts sonst. Weil sie befreiend waren. Wie er sich das Recht nahm, über das zu schreiben, was er wollte, nicht nur über Themen, die ihm qua Geburt zustanden: Türkei, Migration, irgendwas mit Opfer. Da war einer, der nicht dankbar war und nicht glaubte, es sein zu müssen, der dreist war und melancholisch, einer, der sich die Rollen nahm, wie er sie brauchte. Das wollte ich auch.

Waffengleichheit und Selbstverteidigung

Viele, die gegen Deniz gesprochen und geschrieben haben, sahen das sehr genau. Was sich dieser Türke da herausnahm. Es schimpften viele Rechte. Aber Linke auch. Und solche, die diesen Yücel gerne ein wenig schutzbedürftiger gehabt hätten. Deniz musste nicht beschützt werden.

Außer einmal: Als Deniz Thilo Sarrazin einen Schlaganfall wünschte.

Die Kolumne habe ich redigiert. Natürlich ist mir der Satz aufgefallen. Ich habe ihn stehen lassen.

Später in der Verteidigung für den Gerichtsprozess habe ich geschrieben: Ein prominenter Sozialdemokrat wie Sarrazin habe realistischerweise mehr Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass die in seinem Buch als minderwertig beschriebenen Kinder von Migranten und Muslimen gar nicht erst geboren werden, als dass Deniz Yücel Schicksal oder Gott dazu verleiten könnte, Sarrazin zu schaden.

Für mich war das Waffengleichheit. Und Selbstverteidigung. Wer mit den Muslimen anfängt, der hört vor den Ostdeutschen nicht auf. Aber Waffengleichheit heißt in diesem Falle, Hass und Dreck in die Fäuste zu nehmen.

Es gibt ein besseres Deutschland als die AfD

Deniz hat diesen Satz viel eher bereut als ich. Auch mir tut er heute leid. Ein Gericht hat den Fehler korrigiert, die taz hat viel dafür gezahlt und darf die Kolumne nicht weiter verbreiten.

Während ich das hier schreibe, [1][lässt die AfD im Bundestag über Deniz’ Texte reden]. Diese Partei hat dem Deutschland Namen und Gesicht gegeben, das Deniz so gerne untergehen sehen wollte.

Es gibt ein besseres.

Ein Deutschland, in dem sich mehr Menschen mehr herausnehmen können. Eines, in dem nicht alles einen vorgeschriebenen Platz hat, wie in Großmutters Setzkasten. Lesen Sie die Texte von Deniz, dort werden Sie es finden.

23 Feb 2018

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AUTOREN

Daniel Schulz

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